LEITARTIKEL / WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Noch gravierender aber sind die gesetzlichen Regelungen der
spielen eine nicht unerhebliche Rolle. So haben beispielsweise
großen Koalition, die das Subsidaritätsgebot zugunsten zen-
arme Leute eine niedrigere Lebenserwartung. Das sind gute
tralstaatlicher Bevormundung unterwandern. Eine solche Politik
Gründe, das Solidarprinzip im Gesundheitssystem auszu-
ignoriert die fachliche Kompetenz, die sich auf den verschiede-
bauen. Dies ist auch von Bedeutung angesichts der in Zukunft
nen Ebenen des Gesundheitssystems herausgebildet hat bzw.
zu erwartenden Diskussion um die Finanzierbarkeit. Es gilt, den
sich herausbilden könnte. In Zeiten des drohenden oder bereits
Zugang zu medizinisch notwendiger Versorgung hoher Quali-
manifesten Ärztemangels mit Unterversorgung besonders in
tät unabhängig von Einkommen, Geschlecht, Herkunft, sozialer
strukturschwachen Regionen sind zukünftig regionale Lö-
Lage und Wohnort sicherzustellen. Der Solidargedanke darf
sungen vonnöten, die auch nur regional gefunden und ver-
sich allerdings nicht nur auf die Finanzierungsgrundlagen be-
antwortet werden können. Das erfordert mehr Autonomie und
schränken, ist aber diesbezüglich ein besonders hohes Gut.
Krankenversicherungen, die Versicherten mit hohem Krank-heitsrisiko die Teilhabe an der Solidargemeinschaft verweigern,
Gesundheit hat ihren Preis. Nirgends sonst wird das Versa-
verdienen diesen Namen nicht. Alle in eine solidarische Finan-
gen der Gesundheitspolitik der jetzigen Regierung so offen-
zierung einzubeziehen, bedeutet nicht eine Entscheidung für
kundig wie durch die fehlende Reform der Finanzierungs-
oder gegen Altersrückstellungen oder für oder gegen Elemen-
grundlagen des Gesundheitssystems. Die Sicherung der Inve-
te der Kapitaldeckung, sondern daß alle gemäß ihrer tatsächli-
stitionsfinanzierung und sachgerechten Vergütung von Son-
chen finanziellen Leistungsfähigkeit einzahlen und die Finan-
derleistungen im Krankenhausbereich, essentiell für Maximal-
zierung nicht einseitig durch Lohneinkommen erfolgt.
versorger, wurde nicht realisiert. Die Regelleistungsvolumina
Eine Abwicklung des Gesundheitsfonds ist indiziert, da
im ambulanten Bereich ersetzen die alte Budgetierung durch
die politische Festsetzung eines nicht kostendeckenden Ein-
eine bisher wenig nachvollziehbare neue. Der Gesundheits-
heitsbeitragssatzes zu einem Druck auf die Krankenkassen
fonds hat zwar nichts zur Einnahmeverbesserung der GKV
führt, ihren Versicherten notwendige Leistungen vorzuenthal-
beigetragen, wird jedoch Zusatzkosten verursachen und ist
ten oder Honorare einzusparen. Mehr Wettbewerb zwischen
wegen der zugrundeliegenden Zentralisierungsideologie eine
den Kassen und um Qualität ist sicher sinnvoll, aber bitte nicht
Fehlentscheidung. Große Koalitionen bedeuten eben nicht
zu Lasten der Mitarbeiter im Gesundheitswesen.
große Lösungen. Gesundheitschancen und Krankheitsrisiken sind teilweise natur-
gegeben unterschiedlich verteilt. Aber auch soziale Faktoren
Mitglied des Vorstandes der Ärztekammer M-VHIV-Postexpositionsprophylaxe nach Nadel- stichverletzung C. Fritzsche, M. Löbermann, E. C. Reisinger in Zusammenarbeit mit dem AIDS-Ausschuß der Ärztekammer M-V (Mitglieder: H. Bernt, M. Bolz, R. Bruns, R. Dennin, C. Fritzsche, L. Gürtler, G. Hauk, M. Lafrenz, M. Löbermann, E. C. Reisinger, S. Schaefer, S. Sollberg)
In Deutschland sind nach Schätzungen des Robert-Koch-
für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege und von den
Instituts ca. 63 500 Menschen mit dem HI-Virus infiziert, im
Jahr 2008 sind ca. 3000 Neuinfektionen aufgetreten (RKI, EpiBull). Insbesondere im Gesundheitswesen kommt es häu-
Bereits 1989 wurde die postexpositionelle Einnahme von Zi-
fig zu Risikokontakten, z.B. im Rahmen von Nadelstichver-
dovudin (Retrovir®) beim Risiko einer HIV-Infektion im beruf-
letzungen (NSV), in Deutschland schätzungsweise 500 000
lichen Alltag empfohlen. In einer retrospektiven Fallkontroll-
pro Jahr. Insgesamt wurden in Deutschland bisher 57 HIV/
studie von 1997 wurde ein statistisch gesicherter Vorteil einer
AIDS - Erkrankungen bei Beschäftigten im Gesundheitssy-
Postexpositionsprophylaxe (PEP) mit Zidovudin (Retrovir®)
stem als Berufserkrankung von der Berufsgenossenschaft
gegenüber der Nichtbehandlung gezeigt (2). Prospektive
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randomisierte Studien sind aus ethischen Gründen nicht
gleichzeitig mit Desinfektionsmittel (Ethanol-basierte Kom-
bination mit PVP-Jod, z.B. Betaseptic®) für 10 Minuten desin-fiziert werden. Nach Schleimhautexposition (Kontamination
Eine HIV-Übertragung kann stattfinden, wenn virushaltiges
von Augen oder Mundschleimhaut) ist ein gründliches Aus-
Material in den Körper eingebracht wird durch
spülen mit Ringer-, Kochsalzlösung oder Wasser durchzufüh-
■ ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer HIV-infizier-
ren. Nach diesen Maßnahmen sollte eine sofortige Entschei-
dung über die Einleitung einer PEP getroffen werden, da das
■ Transfusion von HIV-kontaminiertem Blut oder Blutpro-
Virus relativ schnell in die Zellen aufgenommen wird (4), und
die besten Ergebnisse bei einem Beginn der PEP innerhalb
■ Gebrauch von HIV-kontaminiertem Injektionsbesteck
der ersten zwei bis vier Stunden nach Kontakt erzielt wer-
■ Verletzung mit HIV-kontaminierten Instrumenten bzw.
den. 72 Stunden nach dem Risikokontakt ist die Einleitung
einer PEP nicht mehr sinnvoll (3). Zur Abwägung von Nutzen
■ Benetzung offener Wunden und Schleimhäute mit HIV-
und Risiko einer PEP sollte ein in der HIV-Therapie erfahrener
Arzt hinzugezogen werden. Bei bekannt positivem HIV-Sta-tus der Indexperson sind die folgenden deutsch-österreichi-
Das Risiko einer HIV-Übertragung bei beruflicher Exposition
schen Empfehlungen für die Entscheidung zur Einleitung ei-
im Rahmen einer Nadelstichverletzung liegt bei positivem
Indexpatienten durchschnittlich bei 1 : 300. Das Risiko einer Übertragung ist von verschiedenen Faktoren
abhängig wie die Art und Dauer der Exposition, das Stadium
der Erkrankung des Indexpatienten und damit die Höhe der
Viruslast (HIV-RNA-Kopien/ml), die Menge der eingebrach-
ten Viren und die antiretrovirale Therapie der Indexperson
ggf. mit entsprechendem Resistenzprofil. So ist z. B. die Ver-
- Nadel nach intravenöser Injektion oder
letzung mit einer Hohlnadel unmittelbar nach einer Blutab-
nahme risikobehafteter als die Verletzung mit der gleichen Nadel wenige Minuten später, wenn das Blut in der Nadel
schon geronnen ist und somit die übertragbare Blutmenge
- Kontakt von Schleimhaut oder verletzter/ Anbieten
geschädigter Haut mit Flüssigkeiten mit
Das Risiko einer Ansteckung nach beruflicher Exposition va-
riiert von der Art des Kontaktes und wird wie folgt einge-
- Kontakt von intakter Haut mit Blut bzw.
Durchschnittliches Risiko
Bei unbekanntem HIV-Status der Indexperson ist von dieser
unverzüglich eine Serologie auf HIV, Hepatitis B und Hepati-
tis C durchzuführen. Dabei ist vorher jedoch das Einverständ-nis der Indexperson einzuholen und die Ablehnung ggf. zu
Niedriger
respektieren. Auch die verletzte Person muß zur Dokumen-
tation des Antikörperstatus zum Zeitpunkt der Exposition
auf HIV, Hepatitis B und C getestet werden.
Entscheidend für die Indikationsstellung der PEP ist die Ab-
Um eine HIV-Infektion nach beruflicher Exposition zu verhin-
schätzung des Infektionsrisikos. Bei unbekanntem Status der
dern, ist rasches Handeln erforderlich. Erstmaßnahmen sind
Indexperson ist die Indikation für eine PEP zurückhaltender
eine sofortige Wundreinigung und Desinfektion. Bei einer
zu stellen. Es muß jedoch beachtet werden, daß HIV in be-
Nadelstichverletzung soll die Wunde zunächst bluten und
stimmten Risikogruppen gehäuft vorkommt (Homosexuelle,
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Patienten aus Hochprävalenzländern wie Afrika, Drogena-
Phosphatase, Kreatinin und Blutzucker zu kontrollieren.
busus). Bei Indikation einer PEP ist über Nutzen und Risiko einer HIV-
Zusammenfassend ist für einen optimalen Ablauf einer PEP-
PEP aufzuklären, insbesondere auch über Nebenwirkungen,
Beratung nach beruflicher Exposition mit HIV folgendes
Dauer und mögliches Prophylaxeversagen.
Vorgehen empfohlen:1. Blutfluß aus der Wunde fördern, Desinfektion, Spülung
Folgende Vorsichtsmaßnahmen müssen von der exponierten
2. Entscheidung über medikamentöse Postexpositionspro-
phylaxe innerhalb von zwei bis vier Stunden
■ Bis zum Vorliegen eines negativen HIV-Tests – drei Mo-
nate nach der Exposition – sichere Sexualgewohnheiten
4. HIV-Antikörpertest, Hepatitis-Serologie
■ Bis zwölf Monate nach der Exposition kein Blut spenden.
Bei unklaren Fällen oder Fragen bezüglich einer PEP kann mit der Abteilung für Infektiologie und Tropenmedizin der
Folgende Medikamente sind unter Beachtung von Nebenwir-
Universität Rostock jederzeit (24 Stunden) Kontakt aufge-
kungen oder Begleitumständen wie Schwangerschaft u. a.
nach den deutsch-österreichischen Empfehlungen für eine PEP für die Dauer von vier Wochen zu verabreichen:
In Mecklenburg-Vorpommern sind auf Initiative des AIDS-Ausschusses der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern PEP-Depots in den Krankenhäusern in Rostock, Greifswald,
Schwerin, Stralsund, Neubrandenburg, Güstrow, Ludwigs-
lust, Wismar, Bergen, Pasewalk und Waren eingerichtet
worden, die ca. halbjährlich im Ärzteblatt Mecklenburg-
Vorpommern oder im KV-Journal veröffentlicht werden und
Literatur bei den Verfassern Korrespondenzanschrift:
HIV, Hepatitis B und Hepatitis C Antikörper (ggf. HCV-PCR)
Abteilung für Tropenmedizin und Infektiologie
sollten sechs Wochen, sowie drei und sechs Monate nach der
Exposition kontrolliert werden. Bezüglich der Kontrollen von
Hepatitis B und C nach der Exposition verweisen wir auf die
entsprechenden Leitlinien (5, 6). Vor dem Beginn und nach
dem Ende der PEP sind Blutbild, Transaminasen, yGT, alkalische
E-Mail: fritzsch@med.uni-rostock.de
Anz Rostock A?rzteblatt:Layout 1 12.09.2007 12:15 Uhr Seite
michael welz ■ Dipl.-Kfm. Lutz Freitag
in Kooperation: Frau E. Lohpens –
Tel. 0381- 25 222 30 Steuerberaterin für Ärzte/ jungfernstieg 7 fon 03831-3039-3 office@ra-welz.de
freitag@hro.asi-online.de Kanzlei Saß & Liskewitsch – 18437 stralsund fax 03831-3039-44 www.ra-welz.de
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The purpose of this organization, operating under the auspices of the Houston Symphony society, is to promote quality music education and enrichment programs for area students and to promote music appreciation in the Bay Area through an affiliation with the Houston Symphony and other resources. APOLLO CHAMBER PLAYERS BAHSL’s September meeting program will feature the Apollo Chambe