Ist Brain-Doping tatsächlich Doping? Zur medialen Definition pharmazeutischer leistungssteigernder Maßnahmen im Beruf und Alltag
der Konzentration, Provigil® zur Erhöhung undVerlängerung der Wachsamkeit); Medikamente,
»Forget sports doping. The next frontier is
welche die körperliche Leistungsfähigkeit erhö-
brain doping.« So schreibt Karen Kaplan in ei-
hen (z.B. Steroide). Viagra® kann auch in Abwe-
nem 2007 erschienenen online-Artikel der Los
senheit eines pathologischen Zustands zur Ver-
Angeles Times.1 Die Journalistin stellt dort fest,
besserung männlicher sexueller Leistung einge-
längst nicht mehr ein Verhalten ist, das nur pro-
Am Beispiel des oben genannten Zeitungsarti-
fessionelle Sportler betrifft. »Gedopt« wird
kels – man könnte viele andere ähnliche Presse-
auch im Büro, in der Schule und an den Univer-
berichte zitieren, die in den letzten Jahren welt-
sitäten. Insbesondere diejenigen, die sehr star-
weit erschienen sind – wird deutlich, wie der
ken intellektuellen, psychischen oder körperli-
Begriff des Dopings in den Medien oft und pla-
chen Belastungen ausgesetzt sind, versuchen,
kativ verwendet wird, um die Praxis der medi-
ihre beruflichen Aufgaben mittels medikamen-
kamentösen Leistungssteigerung auch außer-
töser Unterstützung besser, schneller und effek-
halb des (organisierten) Sports zu kennzeich-
tiver zu erledigen. Dafür verwenden gesunde
nen.2 Begriffe wie Brain-Doping, Neurodoping,
Menschen verschiedene Präparate, die sonst zutherapeutischen Zwecken eingesetzt werden:
Oglivie, Megan: »Stronger, faster, smarter«, in:
Psychopharmaka, die sowohl auf die emotiona-
http://www.thestar.com/News/article/299706; La-
le als auch auf die kognitive Ebene einen Ein-
wecki, Gero: »Hirndoping wird der neue Trend«, in:
fluss haben können (etwa Prozac® zur Verbesse-
http://www.karriere.de/beruf/hirndoping-wird-der-
rung der Stimmung, Ritalin® zur Verbesserung
neue-trend-7345/; Stephan, Thomas: »Leistungsfähi-ger
http://www.tagesschau.de/inland/studentendoping1
Kaplan, Karen; Gellene, Denise: »They're bulking up
00.html; Ochmann, Frank: »Hirndoping für alle«, in:
http://www.stern.de/wissen/mensch/kopfwelten-
http://articles.latimes.com/2007/dec/20/science/sci-
hirndoping-fuer-alle-648243.html; Wolfraum, Heiko:
Gehirndoping, aber auch wie Lifestyle-Doping
ner, aufgeschlossener, kontaktfreudiger werden.
und Alltagsdoping oder Berufsdoping gehören
Alltagsdoping kann sowohl im Büro als auch in
mittlerweile zum etablierten publizistischen
der Freizeit geschehen: Der Ausdruck macht
deutlich, dass medikamentöse Leistungssteige-
Der mediale Gebrauch dieser Ausdrücke ist kei-
rung zur alltäglichen Gewohnheit geworden ist,
neswegs präzise und eindeutig festgelegt, den-
zum Lebensstil (Lifestyle-Doping). Sogar das
noch erklärt sich ihre Bedeutung einigermaßen
Aussehen kann durch schönheitschirurgische
von selbst. Man nennt pharmazeutische Leis-
Eingriffe zum Ziel einer Dopingmaßnahme,
tungssteigerung »Brain«-Doping, weil die einge-
dem »Schönheitsdoping«, werden.3 In den Me-
nommenen Präparate in die Hirnaktivität ein-
dien bezeichnet man also mit »Doping« medi-
greifen. Um den erwünschten Effekt zu erzielen,
zinische Eingriffe unterschiedlichster Art, durch
die gesunde Menschen versuchen, ihre Bedürf-
setzt, also psycho- und neuroaktive Substanzen.
nisse und Wünsche nach körperlicher und psy-
Brain-Dopingbezweckt außerdem die Verbes-
chischer Optimierung und Potenzierung zu be-
serung und Steigerung mentaler Fähigkeiten,
also der kognitiven Leistung, sowie der emotio-nalen Disposition. Man versucht dadurch, Kon-
zentration, Gedächtnis, Ausdauer und Befind-lichkeit zu steigern bzw. positiv zu beeinflussen.
Doping ist heutzutage ein allgemeinverständli-
Die Benennung »Brain«-Doping charakterisiert
cher Begriff. Jeder, der Zeitung liest, im Internet
folglich den physiologischen Ort der medizini-
surft oder Fernsehen schaut, ist bereits durch
Schlagzeilen und Kurzmeldungen mit dem Aus-
Durch Bezeichnungen wie Lifestyle-Doping, Be-
druck Doping vertraut. Man hört und liest über
rufsdoping, Alltagsdoping werden wiederum
unwissende Athleten, die unter Dopingver-
eher die Kontexte und die Ziele der Dopingpra-
xis hervorgehoben. Mit Berufsdoping sind ge-
Knöfel, Ulrike: »Exzesse des Körperwahns«, in:http://www.spiegel.de/spiegel/print/d27286914.html
nerell medikamentöse leistungssteigernde Prak-
In den journalistischen Sportberichten ist auch von
tiken gemeint, die dazu dienen, die eigene Ar-
»Techno«-Doping, »Textil«-Doping bzw. »Geräte«-
beit schneller, besser, effizienter zu erledigen.
Doping die Rede. Damit ist die Leistungssteigerung
Man »dopt«, weil man sich insgesamt verbes-
gemeint, die durch Gebrauch besonders raffinierterTechnologie ermöglicht wird, etwa Schwimmanzüge
sern möchte: um intelligenter, glücklicher, fitter
und Sportgeräte aus besonderen Materialien. Techno-
zu sein. Man möchte bessere Leistungen auch
Doping stellt dennoch nach der jetzigen Reglementie-
in sozialer Hinsicht erbringen, also ausgegliche-
rung im Sport keine Verletzung der Anti-Doping-Be-stimmungen dar. Die Erweiterung und Potenzierungmenschlicher Fähigkeiten »über den normalen Maß
http://www.zeit.de/zeit-wissen/2009/03/Forum-Pro-
hinaus« sollen in der nächsten Zukunft durch bio-
Contra; Szentpétery, Veronika: »Die gedopte Elite«,
technologische Intervention zumindest teilweise
möglich werden. Als Paradebeispiel des »technolo-
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,5
gisch gedopten« Athleten gilt heutzutage der bein-
60804,00.html; Schuh, Claudia: »Doping-Kontrolle für
amputierte Läufer Oscar Pistorius, der mit Prothesen
im Stande ist, Zeiten nicht behinderter Athleten zu
http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/916/435663
erreichen. Heitmann, Matthias: »Sind Protheseläufer
/text/?page=2; Lindner, Susanne: »Alltagsdoping: ein
gefährlicher Trend«, in: http://www.nordbayerischer-
argumente.com/artikel/93/novo9391.pdf und Tänns-
kurier.der/nachrichten/1280815/details_8.htm; Mies,
jö, Torbjörn, »Medical Enhancement and the Ethos of
Petra: »Doping am Arbeitsplatz. Nur mit Pille ins
Elite Sport.« In Bostrom, N., Savulescu M. (Hg.): Hu-man Enhancement Ethics: The State of the Debate.
onlinde.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/hesse
New York 2009, S. 315-326. Das Thema des Techno-
n/2072781_Doping-am-Arbeitsplatz-Nur-mit-Pille-
Dopings wird im vorliegenden Text nicht weiter un-
dacht stehen, aber auch über Betrüger unter
Alltagsmoralische Vorstellungen und populär-
den Sportlern, Ärzten und Funktionären, die für
wissenschaftliche Vermittlungen des Doping-
Doping verantwortlich sind. Dopingkontrollen
phänomens, der Bezug auf bekannte Argumen-
sind – so die Presseberichte – umstritten, un-
tationsmuster und vertraute Inhalte ermögli-
wirksam und teuer, aber auch notwendig und
chen durch Bezug auf »Doping«, Optimie-
erfolgreich. Wenn jemand einen Rekord bricht,
rungs- und Potenzierungsversuche zu veran-
steht die Frage sofort im Raume, ob er oder sie
schaulichen, die auch in anderen Bereichen der
möglicherweise gedopt hat. Die Presse infor-
Gesellschaft stattfinden. Die publizistische Ana-
miert auch über die gefährlichen gesundheitli-
logie zwischen Doping inner- und außerhalb
chen Konsequenzen der Dopingpraxis, über
des Sports ist allgemeinverständlich und plausi-
mysteriöse Todesfälle, über den Kampf gegen
bel, um die Debatte über pharmakologische
Doping und den Schwarzmarkt der Dopingmit-
Leistungssteigerung in einer Schlagzeile plakativ
In Analogie zu diesen Themen, über die dieSportpresse täglich berichtet, insbesondere
wenn Ausmaß oder Schwere des Dopingvorfallserheblich sind, erscheinen seit einigen Jahren
Die mediale Deutung des Phänomens pharma-
zunehmend Reportagen, die moralische Impli-
zeutischer Leistungssteigerung anhand von
kationen und gesundheitsgefährdende Neben-
wirkungen pharmazeutischer leistungssteigern-
herstellen, wird im wissenschaftlichen Bereich
nicht nur positiv eingeschätzt, sondern biswei-
Sport erhellen. Sie greifen zu diesem Zweck
len auch vehement bestritten. Der Bezug zum
nicht nur auf den Wortschatz, sondern auch
Doping bringe lediglich ein moralisches Vorur-
auf die Begrifflichkeit der Dopingdebatte zu-
teil zum Ausdruck. Eine solche Position vertre-
rück. Zu den Hauptargumenten, anhand deren
ten beispielsweise die Autoren des neulich er-
die Analogie zwischen Doping und »Brain-Do-
ping« aufgebaut wird, zählt erstens, dass phar-
cement, die pharmazeutische Eingriffe zum
mazeutische Leistungssteigerung Betrug bzw.
Zweck der Optimierung kognitiver Fähigkeiten
eine Verzerrung des »gesellschaftlichen Wett-
und emotionaler Dispositionen ausdrücklich
bewerbs« ist. Weiter lässt sich »Brain-Doping«
insofern als Doping bezeichnen, als die Inter-
unterscheiden: »Eine solche systematische Er-
vention leistungssteigernde Wirkungen beab-
forschung des pharmazeutischen Neuro-Enhan-
sichtigt. Im Vergleich aber zu klassischen Me-
cements setzt voraus, dass es zunächst aus der
thoden der Selbstkultivierung und -verbesse-
gesellschaftlichen »Schmuddelecke« herausge-
rung wie Bildung, Übungen zur Selbstbeherr-
holt wird, in der es sich mit anderen Enhance-
schung wie Meditation oder diätetische Maß-
ment-Praktiken befindet, etwa dem fraglos be-
nahmen, die erlauben, die eigene Leistungsfä-
trügerischen Doping im Leistungssport.«5 Vor-
higkeit zu steigern, ist die Einnahme von Medi-
ausgesetzt, medikamentöse Leistungssteige-
kamenten eine »unnatürliche Verkürzung«,
rung wird mittels nebenwirkungsarmer Präpa-
eine zu verachtende Form der Leistungssteige-
rate bewirkt und von den Individuen freiwillig
rung. Potentielle gesundheitliche Gefahren und
gewählt und eingesetzt, ist Enhancement kein
Risiken werden dadurch mehr oder minder ex-
Phänomen, das mit Doping verglichen werden
plizit angesprochen. Genauso wie Doping, so
Galert, Thorsten u.a.: »Das optimierte Gehirn. Ein Me-
die Analogie, ist Brain-Doping unnatürlich, un-
morandum zu Chancen und Risiken des Neuroenhan-
http://www.gehirn-und-geist.de/memorandum, S. 40-48, hier S. 47.
kann: »Anders als beim Sport-Doping, das
und die in den Medien oft als »Brain-Doping«
schon durch seine Schädlichkeit und seinen
meist fremdbestimmten und betrügerischenEinsatz ethisch hochproblematisch ist, stellen
sich für das hypothetisch risikofreie und selbst-bestimmt-offen eingesetzte Enhancement zahl-
Im Zentrum der folgenden Überlegungen steht
reiche neue und herausfordernde Fragen.«6
zunächst die Frage, ob die Erweiterung und Ver-lagerung des Dopingbegriffs in den gesellschaft-lichen Kontext berechtigt ist. In welchem Sinne
lässt sich beispielsweise der leistungssteigernde
Charakter der täglichen Tasse Kaffee mit der
Verb »to enhance«, das »erhöhen«, »verbes-
Einnahme superkoffeinhaltiger Mittel oder mit
sern«, »steigern« bedeutet.7 Als terminus tech-nicus aufgefasst, ist Enhancement »der Einsatz
pharmakologischer, chirurgischer oder biotech-
plausiblen Form vergleichen? Ist der Lehrer, der
nischer Eingriffe zur Verschönerung, Verbesse-
gerne drei bis vier Kaffee am Tag trinkt, ein
rung oder Leistungssteigerung bei Gesunden –
»Doper« sowie der Manager, der vor jeder Sit-
also jenseits von Krankheitslinderung, -heilung,
zung Amphetamine nimmt, um konzentrierter
oder -prävention«.8 Nach dieser Definition
zu sein? Sind eine universitäre Prüfung, ein ent-
steht im Vordergrund, dass die beabsichtigte
scheidendes Meeting, ein nicht verschiebbarer
Veränderung durch den Einsatz neuerer und
Abgabetermin Konkurrenzsituationen, die mit
neuester Techniken der Medizin und Biotech-
einem Marathon oder der Tour de France ver-
nologie geschieht. Enhancement wird dadurch
gleichbar sind? Ein Musiker nimmt vor einem
scharf von handwerklichen oder rudimentären
wichtigen Konzert Betablocker, um sich zu be-
Praktiken der Verbesserung psychischer und
ruhigen; ein Chirurg macht es vor einer Opera-
körperlicher Dispositionen unterschieden.
tion, die für den Patienten lebensgefährlich ist,
Auch erprobte Methoden der Selbstkultivie-
weil er das Gefühl hat, keine ruhige Hand ha-
rung – wie Lernen, Meditation, Psychoanalyse,
ben zu können: Sind beide Situationen Beispiele
Training usw. –, die zur deutlichen Verbesse-
für Doping? In welchem Sinne sind sie mit Do-
rung führen können, werden nicht als »Enhan-
pingpraktiken vergleichbar? Ist jemand, der sich
cement« im technischen Sinne bezeichnet,
Fett absaugen lässt, um schöner auszusehen, in
denn diese Methoden implizieren keine phar-
Analogie zum Doping als ein Betrüger oder eine
makologische Intervention. Zu den heute be-
reits praktizierten Enhancement-Maßnahmenzählt die Einnahme verschiedener psychotroperPräparate, deren tatsächlichen leistungsstei-
Eine Übersicht der bereits praktizierten und hypothe-
gernden Wirkungen dennoch umstritten sind
tischen Enhancement-Verfahren, die in das Nerven-system eingreifen, liefern Nagel und Stephan: Nagel,Saskia K.; Stephan, Achim: »Was bedeutet Neuroen-hancement? Potentiale, Konsequenzen, ethische Di-
Schöne Seifert, Bettina: Grundlagen der Medizinethik.
mensionen«. In Schöne-Seifert, B., Talbot, D. Opolka,
U. Ach, J. S. (Hg.): Neuro-Enhancement. Ethik vor neu-
»to enhance«, in: The Shorter Oxford English Dic-
en Herausforderungen. Paderborn 2009, S. 19-48. Für
tionary. (Hg.) Onions E. T., Oxford University Press,
eine tabellarische Übersicht gesamter medizinischer
und biotechnologischer Interventionsmöglichkeiten
Schöne Seifert: Grundlagen der Medizinethik, zit., S.
zum Zweck des Enhancement siehe auch Miller, Paul;
99. Siehe auch: Murray, T.H.: »Enhancement«. In
Wildson, James: »Stronger, longer, smarter, faster.« In
Steinbock, B. (Hg.): The Oxford Handbook of
Better Humans? The politics of human Enhancement
and life extension. London, 2006, S. 13-27. Hier S. 16f.
Der Anspruch dieses Beitrags liegt nicht darin,
»akademisches Doping«, »Polizei-Doping« und
all diese Fragen konkret zu beantworten, son-
dern auf einige definitorische Kriterien hinzu-
Hoberman zufolge ist der Konsum leistungsstei-
weisen, durch die das Phänomen des Dopings
gernder Substanzen inner- und außerhalb des
im Sport von anderen leistungssteigernden
Sports durchaus vergleichbar und auf ähnliche
Maßnahmen im Alltag und Beruf unterschie-
Muster des Leistungsoptimierungsprinzips zu-
den werden kann. Ich vertrete die These, dass
rückzuführen, die in den verschiedenen »Do-
Ausdrücke wie Brain-Doping u. ä. nur eine pu-
pingkulturen« präsent sind: »Neben dem aus-
blizistische Bedeutung haben. Der Dopingbe-
ufernden Drogenmissbrauch von Athleten in
griff ist keineswegs adäquat, um das gesell-
den letzten fünfzig Jahren hat Doping am Ar-
schaftliche Phänomen pharmazeutischer Leis-
beitsplatz eine lange Tradition. Fernfahrer neh-
tungssteigerung wissenschaftlich zu deuten.
men Amphetamine, in den Anden kauen Berg-
Dies zeige ich zunächst durch die Darstellung
arbeiter Kokablätter, klassische Musiker benut-
der Analogie zwischen Doping im Sport und
zen Beta-Blocker und Polizeibeamte, Gefängnis-
Doping außerhalb des Sports, eine Analogie,
wärter und Türsteher Steroide. Prozac, Ritalin,
die in der letzten Zeit zunehmend in der Do-
Kokain oder Metamphetamine sorgen für Ener-
pingforschung behauptet wird. Enhancement
gie und Selbstbewusstsein bei der Arbeit; das
ist also nicht mit Doping gleichzusetzen.
neue Anti-Narkoleptikum Modafinil (Provigil)
Nichtsdestotrotz gibt es gute Gründe, um Do-
für Studenten und LKW-Fahrer, Red Bull und
andere superkoffeinhaltige Mittel sind ›Tonika‹
ment-Phänomen gemeinsam zu diskutieren.
Pharmazeutische Leistungssteigerung und im
Hoberman setzt also Drogenkonsum, Medika-
allgemeinen Enhancement, also Optimierung
mentenmissbrauch, Konsum legaler Aufputsch-
und Perfektionierung menschlicher Fähigkeiten
präparate mit »Doping« gleich, und definiert
und Fertigkeiten mit Hilfe medizinischer und
Doping wie folgt: »eine unkonventionelle oder
biotechnologischer Interventionen ist ein The-
zumindest ungewöhnliche Methode, die men-
ma, dessen medizinischen, ethischen, rechtli-
talen oder körperlichen Fähigkeiten eines Men-
chen und sozialen Implikationen – sowohl im
schen zu steigern.«12 Als gesellschaftliche Bei-
Sport als auch außerhalb des Sports – einer
spiele des Dopings, die Hobermas ausführlich
strengen wissenschaftlichen Auseinanderset-
darstellt, gelten die Einnahme von Prozac® zur
zung und einer ernsthaften öffentlichen Debat-
Verbesserung der Stimmung und zur Steige-
te bedürfen, abseits von polarisierenden und
rung des Selbstbewusstseins, die Anwendung
der Laserchirurgie, um die Sehleistung über-durchschnittlich zu verbessern und die Anwen-
2 Was ist Doping? Beispiele für einen schwer zu
dung von Anabolika, um die Aggressivität und
Gewaltbereitschaft der Polizei zu steigern. Frag-lich ist dabei, ob die möglicherweise festzustel-
Die internationale Sportwissenschaft hat seit ei-
lende moralische Strittigkeit dieser Verhalten
nigen Jahren begonnen, klassische Schwerpunk-
dadurch begründet werden kann, dass es sich
te der Dopingforschung (etwa Studien über die
beteiligten Akteure, die Motive, die Strukturenund Mechanismen der Dopingpraxis) auf ge-
sellschaftliche Kontexte anzuwenden. Der Do-
Hoberman, John: »Fünfzig Jahre Doping und die Phar-makologisierung des Alltagslebens.« In Latzel, K.,
pingforscher John Hoberman beispielsweise be-
Nietgammer, L. (Hg.): Hormone und Hochleistung.
schreibt und untersucht Phänomene, die er als
Doping in Ost und West. Wien 2008, S. 231-243.
Die Aggressivität und Gewaltbereitschaft der
einer justiziablen Definition zu kommen. Krauß
Polizei zu steigern, scheint beispielsweise gene-
beispielsweise formuliert seine Bedenken be-
rell ein wenig erstrebenswertes Ziel zu sein,
züglich der Möglichkeit, Doping auch im Sport
selbst wenn man es mit »klassischeren« Metho-
eindeutig zu definieren: »Doping ist, was wir so
den erreicht. Die unmoralischen Konsequenzen
nennen.«14 Der Versuch, durch die Einnahme
eines überdurchschnittlichen Sehvermögens
verschiedenster Substanzen die menschliche
scheinen wiederum im Alltag beinahe inexis-
Leistungsfähigkeit zu steigern, lässt sich tatsäch-
tent zu sein, auch wenn eine solche Augenope-
lich auch für die Athleten in der Antike belegen.
ration (noch) sehr ungewöhnlich ist. Im Fall
Doping ist aber ein Phänomen des modernen
emotionaler Leistungssteigerung, die durch Psy-
Sports. Erst seit den 60er Jahren kann man im
chopharmaka wie Prozac® erzielt wird, sind
engeren Sinne von Doping im Sport reden.
schließlich möglicherweise andere Gründe trif-
Denn 1967 entscheidet das Internationale
tiger als ihre Ungewöhnlichkeit, um sie als we-
Olympische Comitee (IOC), den Konsum gewis-
nig wünschenswert einschätzen zu können.13 In
ser, vermeintlich leistungssteigernder, gesund-
all diesen Fällen ist also das Problem, dass Leis-
heitsgefährdender Substanzen zu verbieten.
tungssteigerung mittels »ungewöhnlicher« bzw.
Das IOC führt gleichzeitig Doping-Tests ein, um
»unkonventioneller« Substanzen und Metho-
zu kontrollieren, ob die Athleten dieses Verbot
den praktiziert wird, wenig relevant, obwohl
einhalten.15 Erst seit der Einführung der Doping-
andere moralische Gründe, die in den jeweili-
kontrollen gibt es also im Sport etwas, das als
gen Fällen spezifisch überprüft werden müssen,
»Doping« definiert werden kann. Doping gibt
gegen (oder für) die pharmakologische Leis-
es, insofern etwas als Doping bestraft wird.
Zum Doping gehören die Festlegung von Sub-stanzen und Verfahren, die als Dopingmittel
2.1 »Doping ist, was wir so nennen«
gelten, das Verbot ihres Konsums vonseiten derAthleten und die Einführung von Kontrollen
Die Dopingforschung kämpft aber nicht nur
und Sanktionen, um Doping zu bekämpfen.
Seit 1999 gibt die WADA dem Dopingphäno-
Sports zu definieren. Die Definition des Do-
men im professionellen Sport einen begriffli-
pings ist bereits im Sport problematisch und
chen Rahmen, in dem die Praxis der pharma-
kennt eine lange Geschichte von Versuchen, zu
zeutischen Leistungssteigerung nach bestimm-ten Regelungen definiert und bekämpft wird.
Zum Argument des falschen Glücks und weiterer kri-
Dabei werden definitorische Schwierigkeiten
tischen Aspekte der pharmakologischen Manipulati-
umgangen, die die älteren Formulierungen der
on emotionaler Befindlichkeit und kognitiver Fähig-
Dopingdefinition beinhalteten.16 Im ersten Arti-
keiten siehe DeGrazia, David: »Prozac, Enhancementand self-creation.« In: Hastings Center Report 30,2000, S. 34-40; Kass, Leon (Hg.): Beyond Therapy. Bio-
Krauß, Martin: Doping. Hamburg 2000, S. 19.
technology and the Pursuit of Happiness. Washington
Bahrke, Michael S.; Yesalis, Charles E.: »History of Do-
2003; Galert, Thorsten: »Inwiefern können Eingriffe in
ping in Sport«. In Bahrke, M.; Yesalis, C. (Hg.): Perfor-
das Gehirn die personale Identität bedrohen?« In
mance-Enhancing Substances in Sport and Exercise.
Bora, A.; Decker, M.; Grunwald, A.; Renn, O. (Hg.):
Technik in der fragilen Welt. Die Rolle der Technikfol-
Der World-Anti-Doping-Code wurde am 5. März
genabschätzung. Berlin 2005, S. 91-99. Gesang, Bern-
2003 in der Kopenhagener Konferenz vorgestellt und
ward: »Enhancement zwischen Selbstverwirklichung
»per Akklamation« angenommen. Im November
und Selbstbetrug«. In: Ethik der Medizin 18, 2006, Nr.
2007 wurde das Code in der Welt-Anti-Doping-Kon-
1, S. 10-26; Schöne-Seifert, Bettina: »Pillen-Glück statt
ferenz in Madrid in einer überarbeiteten Fassung ver-
Psycho-Arbeit: was wäre dagegen einzuwenden?« In:
abschiedet. Zum 01. Januar 2009 trat der Code in
Ach, J.S.; Pollmann, A. (Hg.): no body is perfect. Bau-
Kraft. Die Länder, die den WAD-Code angenommen
maßnahmen am menschlichen Körper. Bioethische
hatten, verpflichteten sich, den Code zu diesem Zeit-
und ästhetische Aufrisse. Bielefeld 2006, S. 279-291.
punkt in ein entsprechendes Anti-Doping-Regelwerk
kel des WADA-Codes wird Doping als Verstoß
wendung, Inverkehrbringen, Handeln) zu einem
Verstoß gegen den Code selbst, definiert. Der
führt. Daraus folgt aber auch, dass Doping nach
Artikel 2 legt ferner einzelne Aspekte dieses
der aktuell gültigen Definition das ist, was wir
Verstoßes fest: Zentrales Kriterium, um den Do-
so nennen, so wie Krauß anmerkt. Nur vermit-
pingverstoß zu bestimmen, ist dabei das »Vor-
telt hat es etwas mit ungesunder, unnatürlicher,
handensein eines verbotenen Wirkstoffs, seiner
unfairer Leistungssteigerung gemeinsam. Ferner
Metaboliten oder Marker in der Probe eines
gilt als Verstoß gegen die Anti-Doping-Bestim-
Athleten«.17 Die Dopingsanktionen treten mit
auch der Versuch der Anwendung verbotener
dem Handeln mit bestimmten Substanzen und
Substanzen, die Durchführung einer angekün-
Methoden auf, und zwar denjenigen, die in der
digten Probeentnahme, der Besitz verbotener
Liste der verbotenen Substanzen enthalten
Wirkstoffe, ihr (versuchtes) Inverkehrbringen,
sind. Im Artikel 4 werden die Kriterien festge-
die (versuchte) Verabreichung verbotener Me-
legt, nach denen eine Substanz oder eine Me-
thoden oder verbotener Wirkstoffe an die Ath-
thode in die Liste der verbotenen Substanzen
leten. Auch Beihilfe, Unterstützung, Anleitung,
aufgenommen wird: »Die WADA veröffentlicht
Anstiftung, Verschleierung oder sonstige Tatbe-
so oft wie nötig, mindestens jedoch einmal
teiligungen bei einem Verstoß oder einem ver-
jährlich, die Liste verbotener Wirkstoffe und ver-suchten Verstoß gegen Anti-Doping-Bestim-
botener Methoden als Internationalen Stan-
mungen sind „Doping«, denn sie sind Verstöße
dard.«18 Dadurch wird die formale Definition
des Dopings durch die Aufzählung der Sub-
denen Doping definiert wird.19 Auch aufgrund
stanzen und der Methoden ergänzt, die zurzeit
all dieser Präzisierungen lässt sich also der WA-
als Dopingmittel bzw. als Dopingverfahren be-
DA-Begriff des Dopings als ein rein technischer
trachtet werden. Bei einigen Substanzen geht es
definieren, für den außerhalb des Bereichs des
nicht um ein absolutes Verbot. Ihre Einnahme
agonalen Sports keine unmittelbare Anwen-
darf nicht eine bestimmte Menge überschreiten
dung möglich ist. Aus diesem Grund kann im
bzw. ist nur während des Wettbewerbs verbo-
Alltag und Freizeitsport nur im übertragenen
Sinne von Doping die Rede sein, wie es im Fol-
Die WADA-Definition beinhaltet einen sicheren
Vorteil im Verhältnis zu früheren Definitionen. Sie ist unter konkreten Umständen eindeutig
anwendbar. Insbesondere kann anhand der Lis-te entschieden werden, ob eine bestimmte Sub-
Der Konsum von anabolen Steroiden mit dem
stanz oder eine bestimmte Methode in Zusam-
Ziel der Leistungssteigerung steht in den letzten
Jahren zunehmend unter Beobachtung in wis-senschaftlichen Studien, auch in den Fällen, indenen dieser außerhalb des organisierten
umzusetzen. Diese Aufgabe wurde in Deutschland
Sports praktiziert wird. Insbesondere Bodybuil-
von der Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) über-nommen.
der, aber auch sonstige Freizeitsportler, nehmen
diese Substanzen, die zu der Kategorie der Do-
World-Anti-Doping-Code 2009, S. 11. In: www.wada-
pingmittel gehören und verschreibungspflichti-
ama.org/rtecontent/document/Code_deutsch.pdf.
ge Medikamente sind, um Muskelmasse aufzu-
Der Dopingnachweis geschieht mittlerweile auchdurch Überprüfung der Blutwerte der Athleten und
bauen und sie zu modellieren. Der sogenannte
ihr Vergleich mit akzeptierten Normwerte, wie der
off-label-Gebrauch dieser Mittel wird in sport-
wissenschaftlichen Arbeiten als Doping be-
Kläber überträgt dieser Überzeugung entspre-
zeichnet, wie bereits aus dem Titel der neulich
chend den soziologischen Ansatz Bettes und
erschienenen Studie Kläbers hervorgeht: »Me-
Schimanks23 auf Freizeit- und Breitensport.
dikamentenmissbrauch im Freizeit- und Brei-
Auch dort sowie im Leistungssport ist Doping,
tensport – exemplifiziert am Doping in Fitness-
Kläber zufolge, keine individuelle Entscheidung,
Studios.«20 Dort rekonstruiert Kläber anhand
sondern eine »sozial determinierte Handlung«,
biographischer Fallbeispiele die »Doping«-Sze-
die »in einer dafür anfälligen Subkultur« statt-
ne kommerzieller Sportstudioanbieter. Die Ar-
findet. Kläber untersucht sogenannte User-
beit basiert auf der Auswertung von 40 biogra-
Netzwerke, in denen das Doping-Know-How er-
phischen Interviews mit Usern und Non-Usern
arbeitet und weitergegeben wird. Analog zu
(Kontrollgruppen) und 43 Interviews mit Stu-
den strukturellen Voraussetzungen des Do-
diobesitzern, Trainern, Studiokollegen und Me-
pings im Hochleistungssport veranschaulicht er
dizinern. Zusätzliche Daten werden aus »szene-
die Dopingspirale wie folgt: »Tragende Rollen,
typischer Insiderliteratur, Interaktionsauszügen
wie beispielsweise die der Gruppenspezialisten,
aus Kraftsportforen und Informationsmaterial
sind mal abgesehen von der betreuenden Rolle
der Polizei« entnommen.21 Schwerpunkt der Be-
der Mediziner in aller Regel von genuinen Bo-
fragung ist der Konsum leistungssteigernder
dybuildern besetzt, und zwar zufällig von ehe-
Substanzen, insbesondere aus der Gruppe der
maligen oder noch immer aktiven Wettkämp-
Steroide. Die Befragten beantworten Fragen zu
fern. Neben der Spezialistenrolle gibt es noch
ihrer individuellen Dopinggeschichte (etwa:
diejenigen, die man als bekennende und nicht
wann und wie sie angefangen haben, diese Prä-
parate einzunehmen, welche Rolle Empfehlun-
In dieser Übertragung kommt aber Kläber
gen Dritter gespielt haben, welche Substanzen
selbst zu dem Schluss, dass der Dopingbegriff
sie nehmen oder genommen haben, bevor sie
nicht zum Tragen kommt. Bereits im Arbeitsti-
mit den Steroiden angefangen haben, ob sie
tel wird deutlich, dass mit »Doping« im Brei-
Drogen nehmen, wie sie sich die Präparate an-
ten- und Freizeitsport eigentlich »Medikamen-
tenmissbrauch« gemeint ist. Dies wird im Laufe
Kläber zufolge wird Doping im Breiten- und
der Arbeit mehrmals explizit behauptet: »Dass
Freizeitsport zu wenig thematisiert und damit
Doping im Freizeitsport kein Doping im klassi-
unterbewertet. Dies ist unter anderem auf die
schen Sinne ist, sondern eine Form des Medika-
»ignorante Einseitigkeit« zurückzuführen, die in
der Dopingdebatte herrscht.22 Denn obwohl
Warum sollte man also all diese Phänomene als
sich die Dopingdiskussion auf den Bereich des
»Doping« deuten wollen? Während der Ver-
organisierten Sports konzentriert, verbreitet
sich Doping in zunehmendem Maße in Berei-
von illegal vermarkteten pharmazeutischen
chen des Sports, die sich außerhalb des Hoch-
Präparaten innerhalb bestimmter Kreise aufzu-
decken, sicherlich ein relevantes Forschungs-thema ist, das durch das dadurch erworbene
Kläber, Mischa: »Medikamentenmissbrauch im Frei-
Wissen den Entwurf adäquaterer Interventions-
zeit- und Breitensport. Sportausschuss des DeutschenBundestags«. In: Ausdrucksache 198. Berlin 2009, S. 3-
Vgl. Bette, Karl-Heinrich; Schimank, Uwe: Doping im
Hochleistungssport. Anpassung durch Abweichung.
Kläber Mischa: Doping in Fitness-Studios. Abstract
Frankfurt a. M. 2006 (2. Aufl.) und Bette, Karl-Hein-
zum Dissertationsprojekt. Sportausschuss des Deut-
rich; Schimank, Uwe: Die Dopingfalle: Soziologische
schen Bundestags. In: Ausdrucksache 198. Berlin
Kläber: Medikamentenmissbrauch im Freizeit- und
Kläber: »Medikamentenmissbrauch im Freizeit- und
maßnahmen ermöglicht, bietet die Bezeich-
niger als Doping, vielmehr als Arzneimittelmiss-
nung dieses Sachverhalts als »Doping« keinen
Beitrag zum besseren Verständnis des Phäno-
Mit »Doping im Freizeitsport« ist also die Ver-
wendung von Mitteln und Methoden gemeint,
Der Versuch, den Dopingbegriff zusätzlich zu
die im WADA-reglementierten Sportbereich in
erweitern und ihn auf zusätzliche, nicht genau-
der Liste der verbotenen Substanzen und Me-
er bezeichnete Praktiken pharmazeutischer
thoden aufgeführt werden. »Doping im Frei-
Leistungssteigerung im Freizeitsport zu übertra-
zeitsport« ist aber kein Doping, sondern Medi-
gen, lässt die Dopingdefinition Kläbers noch
kamentenmissbrauch. Aus diesem Grund wäre
eine wertneutrale Formulierung, etwa Medika-
setzt, um sich für das abendliche Joggingpro-
mentengebrauch außerhalb der therapeutischen
gramm nach Feierabend zu aktivieren, um die
Indikation, angemessener, um das gesamte Phä-
letzten Kraftreserven für ein Radfahr-, Schwim-
m- oder Aerobicworkout zu mobilisieren oder
Medikaments ohne therapeutische Notwendig-
um eine Krafttrainingseinheit besser zu über-
keit impliziert nicht notwendigerweise, dass die
stehen. Außerdem eignet sich Doping als unter-
medizinisch indizierten Bedingungen eintreten,
stützende Maßnahme, um Ziele der (individu-
nach denen Medikamentenmissbrauch erfasst
ellen) Körperverformung zu verwirklichen.«26
Diesbezüglich ist fraglich, ob sich das von Klä-
Einen anderen zentralen Unterschied zwischen
ber genannte »Dopingspiralenmodell« – von
Doping und »Doping im Freizeitsport« betrifft
Nahrungsergänzungsmitteln zu Straßendrogen
die leistungssteigernden Absichten, aufgrund
–, ohne weiteres auch außerhalb des Kontextes
deren die Maßnahme durchgeführt wird. »Frei-
der Fitnesszentren um all diese Situationen des
zeitdoper« möchten nicht nur ihre sportliche
Freizeitsports (abendliches Jogging, Radtour
Leistung verbessern. Auch ästhetische Gründe
usw.) erweitern lässt, ohne die Lage ein wenig
spielen eine entscheidende Rolle, um die Inter-
vention durchzuführen. Bereits im Sport gibt esalso genügend Gründe, um den wissenschaftli-
2.3 Zwischenbilanz: Die Abschaffung des Doping-
chen Dopingbegriff nur für den organisierten
Sport zu reservieren.28Im Alltagsverständnis lässt sich der Terminus
Insgesamt ist anzumerken, dass der Dopingbe-
»Doping«, wie Caysa beispielsweise anmerkt,
griff durch die Übertragung auf Kontexte, die
insgesamt mit dem Konsum »von Drogen, Sti-
dem organisierten Sport nicht angehören, im
mulanzien, Aufputschmitteln, Erregungs- und
Verhältnis zum WADA-Begriff an definitori-
Anregungsmitteln aller Art« gleichsetzen.29 Ge-
scher Schärfe verliert und keine wissenschaft-
nau diese Gleichsetzung ist auch im publizisti-
lich systematische Bedeutung hat. Beispielswei-
schen Bereich etabliert und rechtfertigt die Er-
se hebt das Heft des Robert-Koch-Instituts
»Doping beim Freizeit- und Breitensport« ei-
griffs von dem organisierten Sport auf den ge-
nerseits hervor, dass auch im Freizeitsport Mit-
samten Sport. Über den Bereich des Sports hin-
tel verwendet werden, die im organisiertenSport verboten sind. Andererseits stellt es klar,
Müller-Platz, Carl; Boos, Carsten; Müller, R. Klaus: Do-
dass in diesem Fall von Doping nicht die Rede
ping beim Freizeit- und Breitensport. Robert Koch In-
sein kann: »Da Freizeitsport nicht in organisier-
stitut, Heft 34. Berlin 2006, S. 10.
ten Wettkampfveranstaltungen ausgeübt wird,
Caysa, Volker: »Doping und das Problem des Maßes
ist der Einsatz von Dopingwirkstoffen hier we-
einer »natürlichen« Eigenleistung des Menschen.« In:Latzel, Niethammer (Hg.). Hormone und Hochleis-
tung. Zit., S. 245-261, hier S. 246.
aus werden – durch eine weitere Begriffsüber-
ten Athleten sehr unterschiedlich ausfällt; 2)
tragung – auch Alltag und Beruf als »dopingge-
dass Sport kein Wettbewerb ist, um zu ent-
fährdete« Bereiche ins Visier genommen.
scheiden, wer biologisch besser ausgestattet ist:auch die biologisch »schlechter« ausgestatteten
3 Sieben Thesen für die Abschaffung der Doping-
Sportler können gewinnen, beispielsweise wenn
sie besser als andere »natürlich Begabtere« trai-nieren.
Seit einiger Zeit zeichnet sich in der Wissen-
Zweitens kritisieren Foddy und Savulescu die
schaft immer stärker die Tendenz ab, den kon-
These, dass Fairness im Sport »gleiche Aus-
zeptuellen Rahmen zu sprengen, in dem die
gangsbedingungen für alle« bedeute. Sie kriti-
Dopingdebatte bis heute vorwiegend geführt
sieren diese Fairness-These der Doping-Gegner,
wurde. Dieser eher neuen Perspektive zufolge
indem sie darauf hinweisen, dass «fair« im
steht im Zentrum der Reflexion die Frage, in-
Sport nur bedeuten könne, dass gleiche Regeln
wiefern medizinische und biotechnologische
für alle gelten. Denn faktisch ist es nicht mög-
Interventionen überhaupt zum Zweck der Leis-
lich, dass alle Sportler über gleich viel Geld,
tungssteigerung im Sport angewandt werden
gleich gute Trainer, gleiche körperliche Ausstat-
bzw. im Fall noch hypothetischer, d. h. noch
bloßer Zukunftsvisionen angehörender Maß-
Die dritte, weit verbreitete, jedoch falsche Mei-
nung besteht darin, dass Training und Ernäh-
diskutiert, welche Risiken und Gefahren, aber
rungsprogramme nicht gesundheitsschädlich
auch welche Möglichkeiten und Chancen sich
seien und dass der saubere Hochleistungssport
hier für den Sport bieten. Foddy und Savules-
nicht gesundheitsschädlich, sondern sogar ge-
cu30 entwickeln beispielsweise eine Reflexion
sundheitsfördernd sei. Im Gegenteil dazu be-
über die ethischen Implikationen der Leistungs-
haupten Foddy und Savulescu, dass Hochleis-
steigerung. Im Fokus der Diskussion über den
tungssport extrem gesundheitsgefährdend sein
Konsum leistungssteigernder Substanzen im
kann. Nicht nur Doping, sondern auch andere
Sport sollte Foddy und Savulescu zufolge in ers-
Faktoren spielen dabei eine entscheidende Rol-
ter Linie die Gesundheit der Athleten stehen.
le, beispielsweise die (Un)fähigkeit der Athle-
Konkret schlagen beide vor, dass »Doping« frei-
ten, sich an die Trainingsbedingungen anzupas-
gegeben werden sollte und dass im Gegenzug
sen. Athleten laufen Gefahr des Belastungstods
die medizinische Kontrolle der Athleten inten-
und verschiedener Verletzungen, leiden unter
siviert werden sollte. Sie begründen ihre Kritik
an der Anti-Doping-Policy durch die Darstel-
schen Beschwerden. Nach Foddy und Savulescu
lung von sieben falschen Thesen, welche Do-
sollte dementsprechend nach den gesundheitli-
chen Risiken gefragt werden, denen die Athle-
Laut der ersten These wird die sportliche Leis-
ten grundsätzlich im Sport ausgesetzt sind, und
tung gedopter Athleten durch die Medikamen-
dies unabhängig von den Faktoren, die diese Ri-
te und nicht von den menschlichen »natürli-
chen« Fähigkeiten entschieden. Foddy und Sa-
Als vierte These kritisieren Foddy und Savulescu
vulescu heben diesbezüglich hervor: 1) dass das
die Einstellung, dass die Anwendung neuester
»biologische Potential« (genetische Veranla-
Technologien den Wert des Sports in Frage stel-
gung, Stoffwechsel usw.) selbst bei nicht gedop-
len würde. Es ist unvermeidlich, dass Sport vom
Foddy, Bennett; Savulescu, Julian: »Ethics of Perform-
Fortschritt der technischen Entwicklungen be-
ance Enhancement in Sport: Drugs and Gene
einflusst wird. Sie bestreiten weiter (fünfte The-
Doping«. In Ashcroft, R E.; Dawson, A., Draper, H.;
se), dass Athleten durch die Freigabe des Do-
McMillan, J. R. (Hg.): Principles of Health Care Ethics.
pings gezwungen werden, Präparate einzuneh-
men, die sie sonst nicht einnehmen würden.
Stattdessen argumentieren sie, dass andere Fak-
Sports-Enhancement gilt somit als Stichwort im
toren, beispielsweise Preisgelder, bereits jetzt
wissenschaftlichen Bereich für eine unvoreinge-
Druck auf die Athleten ausüben und trotzdem
nommene Einschätzung des medizinischen und
biotechnologischen Instrumentariums, das im
Als sechste These bestreiten die Autoren, dass
Sport eingesetzt wird, um die Verbesserung
Hochleistungs- und Freizeitsport gleichzuset-
und Potenzierung menschlicher Fähigkeiten
zen sind. Sie zweifeln an, dass der Sportsgeist,
wie die WADA ihn definiert, auch für den
Hochleistungssport gelten kann. Schließlich
Den Dopingbegriff aufzugeben, bedeutet aber
und siebtens vertreten sie die These, dass die
weder die Relevanz des Problems zu bestreiten,
Zuschauer im Fall der Dopingfreigabe keines-
das heute anhand dieses Begriffs diskutiert
wegs zwangsläufig ihr Interesse am Sport verlie-
wird, noch für eine unbegrenzte Freigabe jegli-
cher pharmazeutischer Intervention bei Sport-
In der journalistischen Landschaft Deutsch-
lern bzw. bei Gesunden überhaupt zu plädieren.
lands finden sich vereinzelt Ansätze, die diese
Um die Definition des Enhancements und ihre
Perspektive verteidigen. Beispielsweise Heit-
ethischen, rechtlichen und sozialen Implikatio-
mann und Chatrath schlagen eine »rationale
nen zu untersuchen, ist außerdem die Rekon-
Auseinandersetzung über die Vor- und Nach-
struktion der Dopinggeschichte und -debatte
teile leistungssteigernder Medikamente und
von entscheidender Bedeutung. Nicht nur Be-
Methoden« vor, der heutzutage der Dopingbe-
fürworter der (kontrollierten) Freigabe des Do-
griff im Wege stehe: «das größte Problem in der
pings schlagen den Weg einer moralisch neu-
Diskussion über die Glaubwürdigkeit des Leis-
tralen Perspektive der Erörterung pharmazeuti-
tungssports ist unseres Erachtens der Doping-
scher Leistungssteigerung im Sport ein. Auch
begriff an sich. […] Es ist an der Zeit, sich von
biokonservative Positionen diskutieren Dopin-
diesem Konstrukt zu trennen – zum Wohle des
greglementierung in dem breiteren Kontext der
Nicht nur pharmazeutische Leistungssteigerung
Beispiel gilt Thomas H. Murray.32 Insbesondere
in der Gesellschaft würde somit, so wie die Au-
die neu erschienene Publikation über Perfor-mance-Enhancing Technologies in Sport: Ethical,
sich wünschen, aus der »Schmuddelecke« des
Conceptual, and Scientific Issues, wie bereits aus
Dopings herausgeholt werden: Doping selbst
dem Titel deutlich wird,liefert ein Beispiel für
würde seine moralisierende Abwertung verlie-
eine erweiterte Betrachtung pharmazeutischer
ren. Die gesamte Diskussion über die Medikali-
Leistungssteigerung im Sport aus einer interdis-
sierung des Hochleistungssports würde nicht
ziplinären Perspektive: weit über die übliche
mehr unter der heuchlerischen Perspektive ge-
führt, dass Hochleistungssport ohne Dopingsauber, natürlich und authentisch wäre, wieFoddy und Savulescu zeigen. Doping im Sport
Murray, Thomas H.: »Sports Enhancement.« In Crow-
wäre dann nichts anderes als Enhancement auf
ley M. (Hg.): From Birth to Death and Bench to Clinic:The Hastings Center Bioethics Briefing Book for Journ-alists, Policymakers, and Campaigns. New York 2008, S. 153-158. In: http://www.thehastingscenter.org/Public-ations/BriefingBook/Detail.aspx?id=2206
Moritz Steffen; Heitmann, Matthias; Chatrath, Stefan:
Murray, Thomas H.; Maschke, Karen J.; Wasunna, An-
»Debatte: Doping.« In: Novoargumente 96, S. 87-90,
gela A.: Performance-Enhancing Technologies in
Sports: Ethical, Conceptual, an Scientific Issues. Balti-
argumente.com/artikel/96/novo9687.pdf. 4.1 Medikamente für Gesunde. Enhancement?
phenidat behaupten die Probanden, eine Ver-besserung der kognitiven Leistungsfähigkeit zu
Die Veröffentlichung des am Anfang erwähnten
erleben, die dennoch objektiv nicht bewiesen
Memorandums, das sich explizit gegen die pu-
werden konnte. Gedächtnisleistungen sollen
blizistische Bezeichnung des Neuro-Enhance-
ments als Brain-Doping positioniert, löste eine
sogar verschlechtern. Die Wirkungen so ge-
Reihe von Reaktionen aus, die sich wiederum
nannter Wachmacher, wie Modafinil, sind um-
stritten. Medikamente, die bei dementiellen Er-
pharmazeutische Leistungssteigerung im Alltag
krankungen Gedächtnis-, Konzentrations- und
und Beruf zu bezeichnen und vor Gefahren und
Aufmerksamkeitsleistungen verbessern, verur-
Risiken, die diese möglicherweise verursachen
sachen bei Gesunden sowohl Verbesserungen
kann, zu warnen.34 Die Deutsche Gesellschaft
als auch Verschlechterungen der kognitiven
für Chirurgie (DGCH) warnte neulich vor »Do-
Leistungen. Als einzige Mittel, die eindeutig bei
ping im OP« und riet Chirurgen vom Konsum
Gesunden wirken, zählen Beta-Rezeptoren-Blo-
von Arzneimitteln zur mentalen Leistungsstei-
cker, die tatsächlich Nervositätssymptome lin-
gerung (Neuroenhancern) während der Berufs-
Auch eine Pionierstudie der DAK, die sich mitder konkreten Frage beschäftigt, wie oft in
4.2 Nebenwirkungen ohne Wirkungen?
Deutschland Medikamente eingesetzt werden,
um Denk- und Konzentrationsfähigkeit am Ar-
veröffentlichte die Bundespsychotherapeuten-
beitsplatz zu steigern, bedient sich des Doping-
kammer vor kurzem die Pressemitteilung »IQ-
begriffs, um das Objekt der Untersuchung zu
definieren. Aus der Studie ergibt sich, dass
Substanzen für Gesunde?« Von dem Einsatz
43,5% der Befragten bekannt ist, dass einige
pharmazeutischer Präparate zum Zweck der
Medikamente, insbesondere Psychopharmaka,
Leistungssteigerung wird dort explizit abgera-
auch bei Gesunden wirken können.37Die Befrag-
ten: »Arzneimittel sollten aufgrund ihrer Ne-
ten wissen also, dass einige pharmazeutische
benwirkungen nicht ohne medizinische Not-
Substanzen auch in Abwesenheit eines patho-
logischen Zustands wirken können, und zwar
nicht nur mögliche gesundheitliche Risiken und
leistungssteigernd. Andere, im Bericht genann-
Nebenwirkungen lassen sich gegen den Kon-
te, aktuelle Datenerhebungen machen deutlich,
sum psychotroper Substanzen anführen. Viel-
dass viele Menschen bereit wären, Mittel einzu-
mehr trete die gewünschte Wirkung, laut den
nehmen, welche die geistige Leistungsfähigkeit
bis heute zur Verfügung stehenden Daten, häu-
steigern, wenn sie keine Nebenwirkungen hät-
fig gar nicht ein bzw. lasse sich nicht mit Ge-
ten und sie erhältlich wären.38 Durch Bezug auf
wissheit nachweisen. Bei Einnahme von Methyl-
diese Untersuchungen verdeutlichen die Auto-ren des Berichts, inwieweit in der Gesellschaft
Die Debatte kann online (http://www.gehirn-und-
Kenntnisse und Einstellungen verbreitet sind,
geist.de/enhancement) verfolgt werden.
»›Gehirn-Doping‹ unter Chirurgen? Deutsche Gesell-
die auf eine Bereitschaft zur medikamentösen
schaft für Chirurgie fordert kritischen Umgang mit›Wachmacher-Pillen‹.« Pressemeldung der Deutsche
Gesellschaft für Chirurgie. Berlin, Nov. 2009. In:
Nach einer aktuellen Befragung über den Internetauf-
http://www.thieme.de/presseservice/specials/dgch/m
tritt der Zeitschrift Gehirn & Geist würden 60% von
insgesamt 170 befragten Personen Mittel zur Steige-
»IQ-Doping ohne Nebenwirkung? Psychotrope Sub-
rung der geistigen Leistungsfähigkeit nehmen, wenn
stanzen für Gesunde.« Pressemittelung der Bundes-
keine Nebenwirkungen zu befürchten und sie erhält-
lich wären. Vgl. »IQ-Doping.« Umfrage, 12.09.2008. In:
http://www.bptk.de/aktuelles/presse/3023583.html
http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/966328
Leistungssteigerung, also eine Bereitschaft zum
Sport tolerieren und fördern verschiedenste
Enhancement, zum »Doping«, hinweisen.
Formen des Dopings, weil sie das Ziel, äußerst
Überprüft man weiter die häufig angegebenen
produktiv zu sein, teilen.«40 Hoberman diagnos-
Gründe für die Einnahme von Medikamenten
tiziert somit einerseits den negativen Einfluss,
außerhalb der therapeutischen Indikation, stellt
den der Hochleistungssport auf die Gesellschaft
man dennoch schnell fest, dass »depressive
hat. Er bezeichnet Doping als »avantgardisti-
Verstimmung, Angst, Nervosität, Unruhe, Ge-
sche Form einer freizügigen (»libertarian«)
dächtniseinbuße, Schläfrigkeit, Müdigkeit, Kon-
Pharmakologie«.41 Andererseits ist der gedopte
zentrationsstörungen, ADHS« als Gründe für
Profisportler in der heutigen Gesellschaft keine
die Einnahme der Präparate von Gesunden an-
Ausnahme mehr. Sportler sind zwar »Pioniere«
medikamentöser Leistungssteigerung; diese ist
Es wird also deutlich, dass es bei allen diesen
aber mittlerweile in allen Bereichen des Lebens
Fällen möglicherweise relativ um eine Steige-
und im Beruf anzutreffen. Eine gesellschaftskri-
rung von Fähigkeiten geht (nach der Einnahme
tische Haltung impliziert im Gegensatz dazu
des Medikaments hofft man, wacher, mutiger,
nach Hoberman die moralische Ablehnung des
ruhiger usw. zu werden); absolut stellen diese
Dopings als gesundheitsgefährdend, unfair und
unmoralisch. Die Verachtung pharmazeutischer
Man versucht, einen Zustand zu erreichen, den
Leistungssteigerung gilt für Hoberman sowohl
man sonst nicht erreichen könnte. Die Enhan-
für den organisierten Sport als auch für alle an-
cement-Praxis hat also in diesen Fällen eher
deren Bereiche der Gesellschaft. In jeder dieser
eine kompensatorische Funktion als eine rein
Hinsichten betrifft die Analogie zwischen Do-
ping im Sport und Doping in der Gesellschaftdie Gesamtdeutung des Phänomens medika-
4.3 Ist »Brain-Doping« Enhancement?
mentöser Leistungssteigerung und ihrer morali-schen Einschätzung.
Die Evaluation pharmazeutischer Leistungsstei-
Der Gedanke, Sport und Gesellschaft analog zu
gerung bei Gesunden erweist sich als ambiva-
denken, ist in sportwissenschaftlichen Kreisen,
lent. Brain-Doping und ähnliche Ausdrücke las-
sen sich nur in publizistischer Hinsicht als »Do-
durch die Überlegungen Plessners zum Thema
ping« bezeichnen. Die Analogie, die erlaubt,
Sport wohl bekannt: »Der Sport ist nicht besser
Praktiken der pharmazeutischen Leistungsstei-
und nicht schlechter als die Gesellschaftsord-
gerung auch außerhalb des Sports »Doping« zu
nung, der er entstammt und für die er einen
nennen, gründet sich in diesem Sinne haupt-
Ausgleich darstellt. Man kann nicht sie bejahen
sächlich auf dem (lediglich) erfolgsorientierten
und ihn verneinen.« Und weiter: »Sie gehören
Handeln, das den heutigen Sport sowie die heu-
zusammen: Seine Rekordsucht ist ihre Rekord-
tige Gesellschaft kennzeichnet. In den jeweilig
sucht. Man wird ihn nicht ändern, ohne den
spezifischen Formen sind beide, Hochleistungs-
Mut und die Kraft zu haben, auch sie zu än-
sport und Leistungsgesellschaft, auf Leistung
und Sieg angelegt. Doping ist für eine solche
Diese Anmerkungen zur Funktion des Sports
Gesellschaft und einen solchen Sport wenigs-
bleiben fast genau 50 Jahre, nachdem Plessner
tens bis zu einem gewissen Grad immanent:»Die moderne Gesellschaft und der moderne
Hobermann: »Fünfzig Jahre Doping und die Pharma-kologisierung des Alltagslebens.«, zit. S. 233.
Plessner, Helmut: »Die Funktion des Sports in der in-
http://www.iges.de/publikationen/gutachten/dak_re
dustriellen Gesellschaft (1956)«. In: Schriften zur So-
port_2009/e7171/infoboxContent7172/DAK_Gesun
ziologie und Sozialphilosophie; Gesammelte Schriften
X, Frankfurt a. M. 1985, S. 145-166, hier 166.
die Schrift veröffentlichte, immer noch aktuell.
handfeste Kriterien geliefert werden können,
Nichtsdestotrotz wäre genauer zu überlegen,
um ein Phänomen als »Doping« zu bezeichnen.
ob die in aller Deutlichkeit festzustellenden
Ein möglicher Weg scheint zu sein, konkrete
Veränderungen, die sowohl innerhalb der Ge-
Analogien herzustellen und empirisch relevante
sellschaft als auch im Bereich des Sports in den
Zusammenhänge aufeinander zu beziehen (bei-
vergangenen 50 Jahren eingetreten sind, nicht
spielsweise identische Konsummuster, ver-
doch für das »Doping« von Bedeutung sind. Es
gleichbare Situationen, in denen die Mittel ver-
gilt zu fragen, ob nicht entscheidende Differen-
wendet werden ähnliche soziopsychologische
zen in Bezug auf die Erfüllung der gesellschaftli-
Userprofile). Daraus resultiert die Aufgabe, em-
chen Funktion des Sports auszumachen sind,
pirische Daten zu erfassen, die wiederum dazu
dies vor allem auch in ihren konkreten Gestal-
führen kann, eine Praxis zutreffend »Doping«
tungen, um möglicherweise Konzepte zu entwi-
zu nennen. Man muss indes konstatieren: Der
ckeln, aufgrund derer gezielte Maßnahmen zur
Dopingbegriff ist bereits in Kontexten des
Verbesserung der Gesamtsituation vorgeschla-
nichtorganisierten Sports schwer anzuwenden.
Der Begriff Enhancement erweist sich in dieser
Plessner konnte beispielsweise noch behaupten,
Hinsicht als günstiger, um über die Versuche,
dass Sport »einen unleugbaren, wenn auch
menschliche Leistungsfähigkeit, kognitive, psy-
schwer abschätzbaren Einfluss auf die Gesund-
chische und körperliche Dispositionen zu po-
heit der Völker« habe. Zu hinterfragen ist heut-
tenzieren, zu debattieren. Gewisse Ambiguitä-
zutage etwa, ob der von Plessner angesproche-
ten und theoretische Schwierigkeiten, die im
ne »Appell an die Gesundheitsgesinnung«43
durch den Hochleistungsport noch glaubwür-
auftreten, könnten durch die Umformulierung
dig vertreten werden kann. Gegen die Behaup-
von »Doping« zu »Enhancement« vermieden
tung, dass Hochleistungssport (ohne Doping)
werden. Sicherlich wird dadurch die moralisie-
gesund ist und somit als Vorbild für den gesun-
rende Diskussion vermieden, die Teile der
den Breitensport gelten kann, argumentiert bei-
Sportpresse zur Zeit führen, nach der nur »Do-
spielsweise Savulescu, ein expliziter Befürworter
ping« und nicht leistungssteigernde Maßnah-
der (kontrollierten) Freigabe des Dopings. Die
men überhaupt, also auch die im organisierten
allgemein für wahr gehaltene bipolare These,
Sport erlaubte medizinische Intervention, eine
dass die im Hochleistungssport praktizierten
Gefährdung für die Gesundheit der Athleten
Trainingsmethoden und Ernährungsprogram-
darstellt. Die Verkürzung von Erholungsphasen
me keineswegs gesundheitsgefährdend sind,
und die Linderung von Anstrengungssympto-
während Doping ausschließlich gesundheitsge-
men durch Einnahme (legaler) Schmerzmittel
fährdend ist, ist für Savulescu schlichtweg
ist beispielsweise eine Thematik, die in der
Sportpresse im Verhältnis zu den Dopingskan-
Die soziologische Diagnose und ethische Eva-
dalen weniger Platz gewidmet wird. In medizi-
luation, die die Äquivalenz zwischen gedopter
nethischer und sportethischer Hinsicht ist sie
Gesellschaft und gedoptem Sport herstellt,
dennoch nicht von geringerer Bedeutung. Auch
würde sich aber unter einem wissenschaftlichen
unter diesem Aspekt verbreitet sich laut neues-
Gesichtspunkt nur plausibel begründen lassen,
ten Forschungen die »Medikalisierung« weit
wenn über die assoziative und suggestive Be-
über den Bereich des organisierten Sports hin-
nennung von Phänomenen, Intentionen und Si-
aus. Dahinter muss aber nicht unbedingt der
tuationen hinaus, die jeweils mal den Sport,
Versuch stecken, andere zu betrügen. Auch Ar-
mal die Gesellschaft betreffen, auch weitere
gumente gegen die Unnatürlichkeit, Unkonven-tionalität des »Dopings« und des Enhancement
Plessner, »Die Funktion des Sports in der industriellen
gelten mittlerweile nicht mehr für stichhaltig.
Andere konzeptuelle Schwierigkeiten bleiben in
Durch die Enhancement-Debatte drückt sich
der Enhancement-Debatte weiter bestehen. Die
die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Ziele
heute zur Verfügung stehenden Mittel sind
menschlicher Handlungen und jener Mittel aus,
aber auch kein Enhancement im engeren Sinne
die dafür eingesetzt werden, um sie zu errei-
des Wortes. Sie erlauben zwar eine Kompensa-
chen. Insgesamt zeichnet sich immer stärker die
tion von Leistungsdefiziten, insbesondere wenn
Tendenz ab, Gesundheit im Sinne einer Perfek-
sie emotional bedingt sind; es ist aber fraglich,
tionierung und Optimierung der menschlichen
ob dies unmittelbar als Optimierung und Po-
Leistungsfähigkeiten zu erfassen. Diese Tendenz
tenzierung gewertet werden muss, also eine
enthält dennoch eine konstitutive Ambiguität.
tatsächliche Verbesserung hervorruft.
Das Ideal der Gesundheit bringt einerseits den
Problematisch bleibt außerdem, ob es möglich
ist, eine hinreichend scharfe Definition von En-
auch durch Unterstützung medizinischer Inter-
hancement zu erarbeiten. Beispielsweise Harris
vention reicher und aktiver zu gestalten, es von
betont die begriffliche Kontinuität zwischen äl-
Krankheit und Schmerz zu befreien. Anderer-
teren, längst anerkannten und weitverbreiteten
seits impliziert dies, dass die Bereicherung und
freie, selbstbestimmte Gestaltung von mensch-
neuesten medizinischen und biotechnologi-
lichen Lebens nicht mehr als Ziele eingesetzt
schen Methoden.44 Zwischen Ferngläsern, Im-
werden, sondern als Normalität eingesetzt wer-
plantaten im Gehirn, die die menschlichen
den, gegenüber deren jede Abweichung nicht
Wahrnehmungsfähigkeiten erweitern, Ernäh-
Als Interpretationskategorie schlagen Ach und
Harris keine prinzipiellen, sondern allenfalls nur
Pollmann beispielsweise in diesem Zusammen-
graduellen Unterschiede. Alles, was der Mensch
hang die Figur der »Dialektik der Selbstvervoll-
immer schon gemacht hat, um seine Lebensbe-
kommnung« vor: Durch das unbedingte »Stre-
dingungen zu verbessern, kann »Enhancement«
genannt werden. Nach dieser maximalen Defi-
»Selbstperfektion« möglicherweise immer
nition fällt Enhancement nach Harris mit dem
mehr die Bedeutung von »Selbstzerstörung«.
Begriff der Technik zusammen. Aber auch En-
Sie schildern die noch unbeantwortete Frage
hancement wird unter dieser Perspektive zu ei-
wie folgt: »Einst stand die medizin-technische
nem schwer operationalisierbaren Begriff.
Verbesserung der conditio humana im Dienste
Selbst wenn pharmazeutische und biotechno-
der Befreiung des Menschen von den Zwängen
logische leistungssteigernde Maßnahmen als
einer übermächtigen Natur. Diese Verbesserung
bessere, aber nicht von älteren grundsätzlich
galt als fester Bestandteil jenes größeren politi-
verschiedene Formen der technischen Interven-
schen Projekts, das menschliche »Emanzipati-
tion definiert werden würden, wäre allerdings
on« genannt wurde. Ist dem noch immer so
nicht die Fragen beantwortet, ob ethische Be-
oder haben sich die gemeinten Umbautätigkei-
denken gegen ihren Einsatz im Alltag und Beruf
sprechen bzw. in welchen Fällen und warum
Plakativer und paradox weist Ebermann den
gleichen Sachverhalt in einem Pamphlet gegen
Anti-Doping-Positionen im Sport(?): »Es wer-den einem ja Fragen gestellt – und man stellt
Vgl. Harris John. The Ethical Case for Making Better
sie sich oft genug selbst – deren Beantwortung
People. Princeton 2007, S. 13: »Shelter, learning andteaching, tool using, body decoration, gathering and
schon der Fehler ist. Bin ich eigentlich gegen
hunting, cooking, storing, cooperation, cultivation,animal taming and domestication, farming, social liv-
Ach, Johann S.; Pollmann, Arnd (Hg.): »Einleitung.« In:
ing, language, and education are all enhancement
Ach, Pollmann (Hg.): no body is perfect. Baumaßnah-
men am menschlichen Körper. Zit., S. 9-17, Hier S. 11.
das Zölibat? Will ich Frauen im Priesteramt?
Bette, Karl-Heinrich; Schimank, Uwe: Die Dopingfalle: So-
Ständ’ es in meiner Macht und Überzeugungs-
ziologische Betrachtungen. Bielefeld 2006
Caysa, Volker: »Doping und das Problem des Maßes ei-
kraft, gäb’ es keine Kirchen. Das ist keine Ant-
ner ›natürlichen‹ Eigenleistung des Menschen.« In
wort, zugegeben.«46 Ebermann schließt sein Plä-
Latzel, K., Nietgammer, L. (Hg.): Hormone und Hoch-
doyer gegen Leistungsobsession im Sport und
leistung. Doping in Ost und West, S. 245-261
in der Gesellschaft wie folgt ab: »Die Probleme
DeGrazia, David: „Prozac, Enhancement and self-cre-
ation.« In: Hastings Center Report 30, 2000, S. 34-40
hören erst auf, wenn man sich nicht mehr
Ebermann, Thomas: „Kein guter Sport im Falschen« In:
schinden muss, um in Saus und Braus zu leben.
Schulze, R.-G.; Krauß, M. (Hg.), Wer macht den Sport
Dann wird auch niemand mehr zuschauen mö-
kaputt? – Doping, Kontrolle und Menschenwürde. Ber-
Foddy, Bennett; Savulescu, Julian: „Ethics of Performance
Das ist keine Antwort, zugegeben, aber ein Hin-
Enhancement in Sport: Drugs and Gene Doping«. In
weis darauf, dass der Fokus der Debatte über
Ashcroft, R E.; Dawson, A., Draper, H.; McMillan, J. R.
»Brain-Doping« (aber auch über Doping) nicht
(Hg.): Principles of Health Care Ethics. London 2007, S.
nur eine Frage der Fairness oder des Gesund-
Galert, Thorsten u.a.: „Das optimierte Gehirn. Ein Memo-
heitsschutzes ist. Die Aufgabe, die den Wissen-
randum zu Chancen und Risiken des Neuroenhance-
schaftlern, aber auch der Öffentlichkeit, noch
ments«. In: Gehirn&Geist 11/2009, in: http://www.ge-
bevorsteht, ist eine Untersuchung der im Hin-
Gesang, Bernward: „Enhancement zwischen Selbstver-
tergrund liegenden, aber nicht explizit gemach-
wirklichung und Selbstbetrug«. In: Ethik der Medizin
ten Menschenbilder: »Auffällig ist, dass die Ethi-
ker, die sich zurzeit öffentlichkeitswirksam mit
Galert, Thorsten: „Inwiefern können Eingriffe in das Ge-
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