Microsoft word - toxikologenkurs2009

Missbrauch von Stoffen
Missbrauch von Stoffen gibt es aus verschiedenen Gründen: • Akute willentliche Intoxikation (rauschhaft, suizidal, kriminell)
Abusus = schädlicher Gebrauch (wiederholter Rauschzweck im
Vordergrund)
Abhängigkeit (wiederholter zwanghafter Gebrauch im Vordergrund)
Manipulation von Körperfunktionen
Manipulationen von geistigen Funktionen (Stimulanzien)
Doping (Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit)
Aphrodisiaka (Steigerung des sexuellen Genusses)
Zwischen diesen Punkten gibt es Überschneidungen. So haben Abhängige häufig akute Intoxikationen. Je nach dem Anwendungsgrund wird ein Stoff oder eine Stoffgruppe gewählt. Beispiele: Rauschhafte Intoxikation Intoxikation Schlaf- und Beruhigungsmittel,Alkohol Manipulation von Körperfunktionen Laxanzien, Manipulation von geistigen Funktionen Stimulanzien, Nootropika Doping Erythropoietin, Bei der Auswahl der Stoffe zeigen heutzutage viele Laien erstaunliche pharmakologisch-toxikologische Kenntnisse, die sie oft dem Internet entnehmen. Abhängige bleiben allerdings oft bei „Ihrem“ Stoff; so bevorzugen Heroinabhängige sehr große Heroindosen für einen Suizid (der „goldene Schuss“). Der Begriff „Droge“ ist mehrdeutig. Er kann bedeuten: Getrocknete Pflanzen oder Pflanzenteile (z.B. in Drogerie) Arzneimittel und Gifte („food and drug administration) Suchtstoffe (einschließlich unregulierte natürliche Suchtstoffe und Industriechemikalien) Hier wird der Begriff überwiegend im Sinn von „illegale Suchtstoffe“ gebraucht. Es gibt allerdings beträchtliche Überschneidungen. So ist γ–Butyrolacton gleichzeitig unregulierte Industriechemikalie und Präkursor von illegalem γ-Hydroxybutyrat, das im Stoffwechsel gebildet wird. γ-Hydroxybutyrat ist entweder illegale Droge („liquid ecstasy“) oder legales Medikament (Somsanit®), je nach Kontext. Suchtkrankheiten (stoffgebundene Süchte)
Die psychiatrische Diagnose einer Suchtkrankheit wird nach den Kriterien von ICD-10
gestellt (International classification of diseases). Sie erfordert eine wiederholte
Stoffexposition mit einem Suchtstoff plus bestimmte Verhaltenskriterien. Es werden bei
jeder Suchtstoffgruppe 2 Suchtkrankheiten unterschieden: der schädliche Gebrauch
(Abusus) und die Abhängigkeit
Die Suchtstoffe erreichen das Gehirn, wo sie wirken, d.h. sie passieren die Blut-Hirn-
Schranke. Je schneller diese Passage, desto höher das Suchtpotential. Die Suchtstoffe
stimulieren ein gut definiertes System im Gehirn, das mesolimbische Suchtsystem(oder
mesolimbische Belohnungssystem), bestehend aus ventraler tegmentaler Area,
medialem Vorderhirnbündel, Nukleus accumbens und Verbindungen des Nukleus
accumbens mit dem präfrontalen Kortex. Vor allem die dopaminergen Neurone des
Nukleus accumbens werden unter Suchtstoffen aktiv.
Heimische Suchtstoffe in Mitteleuropa waren schon immer Alkohol und die
Anticholinergika (Muskarinrezeptor-Antagonisten). Das Suchtpotential der
spitzkegeligen Kahlköpfe (Psilocybe semilanceata) mit ihrem Inhaltsstoff Psilocybin
wurde erst in neuerer Zeit von der Drogenszene entdeckt. Heutzutage sind allerdings
alle Suchtstoffe dieser Erde in den Industriestaaten erhältlich, wenn auch nicht in
beliebiger Menge und jederzeit. Sehr verbreitet ist die Polytoxikomanie (Konsum von 3
und mehr Suchtstoffen gleichzeitig):
Fast alle Alkoholkranken und Drogenabhängigen rauchen Zigaretten, viele
Alkoholabhängige nehmen dazu Sedativa / Hypnotika und viele Drogenabhängige
nehmen alles, was „antörnt“.
Von der Konsumintensität her gibt es beispielsweise folgenden Umgang mit Alkohol
beim Menschen:
• Unproblematischer Konsum („gesellschaftskonformes Trinken“) • Einfache Intoxikation (Vollrausch und pathologischer Rausch)
Nichtstoffgebundene Süchte sind Verhaltensweisen, die wahrscheinlich ebenfalls das mesolimbische
System aktivieren, aber über spezielle Verhaltensweisen ohne Beteiligung eines externen Stoffes.
Gemeint sind vor allem pathologisches Glücksspiel um Geld und bulimische Nahrungszufuhr. Sie sind
seltener als stoffgebundene Süchte.
Diagnostische Kriterien der Abhängigkeit nach ICD-10:
Wiederholter Konsum eines oder mehrerer Suchtstoffe plus mindestens drei der folgenden
Kriterien:

Starkes Verlangen oder eine Art Zwang zum Konsum
Konsum länger oder mehr als geplant
Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch
charakteristisches Entzugssyndrom
Toleranzentwicklung
Verhaltenseinengung auf den Substanzgebrauch (viel Zeit für
Beschaffung, Aufgabe von Aktivitäten zugunsten des Konsums)
Anhaltender Substanzgebrauchgebrauch trotz eindeutig schädlicher
Folgen und Wissen um den Zusammenhang
Wenn ein Suchtkranker intoxikiert ist (Drogenszenejargon: breit) ist oder zum Entzug (Drogenszenejargon: affig) kommt, sind die Suchtstoffe oder ihre Metabolite in der Regel noch nachweisbar. Später verschwinden die Stoffe und ihre Metabolite aus dem Körper, zunächst aus dem Plasma/Blut, später aus dem Urin und zuletzt aus den Haaren. Klassen von Suchtstoffen
Opioide
a) μ-Rezeptor-agonistische Opioide (z.B. Morphin, Heroin, Fentanil, Methadon)
b) gemischt agonistisch-antagonistische Opioide (z.B. Pentazocin, Buprenorphin)
GABA-Rezeptor-Agonisten
Ethanol
Barbiturate und barbituratähnliche Stoffe (z.B. Phenobarbital, Clomethiazol)
Tranquillanzien, speziell Benzodiazepine (z.B. Diazepam, Lorazepam, Flunitrazepam)
und benzodiazepinähnliche Stoffe (Zolpidem, Zopiclon)
GHB („liquid ecstasy“)
Inhalanzien („Schnüffelstoffe“)
Gase (z.B. Lachgas, Narkosegase)
Dämpfe (z.B. Ether, Feuerzeugbenzin, Klebstoffe, Farbstoffverdünner)
Psychostimulanzien-Gruppe
Kokain
Amphetamine und Ephedrine (z.B. Khat, Methamphetamin, Methylphenidat)
Entactogene (Ecstasy: MDMA, MDA, MDE)
Dopamin-Agonisten (L-DOPA, Apomorphin)
Xanthine (Adenosin-Rezeptor-Antagonisten)
Koffein (Suchten extrem selten!)
koffeinhaltige Mischanalgetika
Cannabinoide
Δ-9-Tetrahydrocannabinol (THC), Nabilon
Halluzinogene
Meskalin, LSD, Psilozybin
Analgesierende Halluzinogene (NMDA-Antagonisten)
Phenzyklidin = PCP, Ketamin
Cholinomimetika (zentrale Azetylcholinrezeptor-Agonisten)
Nikotin, Arekolin (wirksamer Inhaltsstoff von Betel)
Cholinolytika (zentral wirksame Anticholinergika)
zahlreiche Nachtschattengewächse mit Atropin/Skopolamin, Biperiden
sonstige zentral wirksame Mißbrauchsstoffe
z.B. Kava-Kava, Glucocorticoide, Clonidin und Anabolika
Missbrauchsstoffe ohne zentrale Wirkung
z.B. Laxanzien, Diuretika, einige Dopingmittel (STH, Clenbuterol?)
Willentliche akute Intoxikation
Die rauschhafte Intoxikation ist in der Bevölkerung sehr verbreitet, am häufigsten ist sie
bei Suchtkrankheiten, wobei meist der gewohnte Suchtstoff verwendet wird. Das ist in
Mitteleuropa in der Regel Alkohol
Für die suizidale Intoxikation spielen Schlaf- und Beruhigungsmittel eine entscheidende
Rolle, sehr oft in Kombination mit Alkohol.
Bei der kriminellen Intoxikation vergiftet sich nicht der Täter, sondern das Opfer wird
vergiftet. Der Giftmord ist heute sehr selten, allenfalls wird das Opfer mit
Benzodiazepinen wehrlos gemacht und dann getötet. Hingegen kommt es immer
wieder vor, dass das Opfer mit geeigneten Stoffen, sog. K.o.-Tropfen (Benzodiazepine,
GHB, selten Haloperidol plus Alkohol) wehrlos gemacht und dann ausgeraubt oder
vergewaltigt wird
Manipulation von Körperfunktionen
Zur Manipulation von Körperfunktionen werden meist Laxanzien und Diuretika
verwendet. Sie haben keinen psychotropen Effekt und sind damit keine Suchtstoffe.
Jedoch sind Körperschäden möglich (Darmschäden, Elektrolytverluste).
Dopingmittel
Doping ist die unfaire Leistungssteigerung im Sport mit Dopingmitteln oder
medizinischen Maßnahmen (Eigenbluttransfusion!). Eine ständig aktualisierte Liste der
verbotenen Stoffe wird von der NADA (Nationale Antidoping Agentur) publiziert, sie
kann jederzeit im Internet abgerufen werden. Doping ist nicht identisch mit Abusus oder
Abhängigkeit, manchmal werden aber die gleichen Stoffe verwendet, z.B.
Psychostimulanzien.

Aphrodisiaka
Aphrodisiaka sind Stoffe zur Steigerung der sexuellen Erlebnisfähigkeit.
Das sind vor allem:
Phosphodiesterae-5-Hemmer(Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil) • Apomorphin und andere Dopaminagonisten Cantharidin als wichtigstem Inhaltsstoff Alles andere ist suggestiv oder abergläubisch. Früher gab es nur spanische Fliegen, die bei Einnahme so toxisch sind, dass sie sogar zu Giftmorden und Hinrichtungen benutzt wurden. Die Toxizität betrifft vor allem die Nieren. Kleinere Dosen wirken lokal reizend (Cantharidin-Pflaster) und via Harnwege sexuell erregend. Die heute in Deutschland erhältlichen systemischen Präparate enthalten lediglich homöopathische Konzentrationen Cantharidin und sind deshalb ungefährlich. In den USA sind spanische Fliegen ganz verboten. Sildenafil und die Nachfolgepräparate wirken vorwiegend peripher, ihre zugelassenen Indikationen sind erektile Dysfunktion beim Mann und pulmonale Hypertonie innerhalb bestimmter Dosisgrenzen. Die Toxizität ergibt sich aus Überdosen und nicht beachteten Kontraindikationen. Direkte und indirekte Dopamin-Agonisten wirken u.a. zentral sexuell stimulierend, daher sind sie auch bei Frauen als Aphrodisiaka wirksam. Zugelassen war aber lediglich Apomorphin als Sublingualtablette für Männer (Uprima®, Ixense®), die aber wegen zu geringer Verkaufszahlen vom Markt genommen wurden. Im Rahmen von Dopamin-Agonisten-Intoxikationen kann es u.a. zu massiver sexueller Stimulation kommen.

Source: http://www.toxberlin.de/FT/Download/Missbrauchsubstanzen09.pdf

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