T H E R A P E U T I S C H E S D R U G M O N I T O R I N G V O N N R T I
1 Einleitung
In den deutschen (DAIG 2004) und US-amerikanischen (DHHS 2005) Leitlinien zur Therapie der HIV-Infektion wird das Therapeutische Drug Monitoring (TDM) bisher nur für bestimmte antiretrovirale Substanzklassen und klinische Fragestellungen empfohlen. Die Empfehlung betrifft Protease Inhibitoren (PI) und Nicht Nukleosidale Reverse Transkriptase Inhibitoren (NNRTI).
In den Leitlinien wird darauf hingewiesen, dass bisher keine ausreichenden Erkenntnisse und etablierten Methoden zum TDM für die Substanzklasse der Nukleosidalen Reverse Transkriptase Inhibitoren (NRTI) vorliegen. Beide Leitlinien beschreiben die Anwendung als explorativ und als nur im Rahmen von Forschungsvorhaben zu rechtfertigen.
Im Unterschied zu den anderen antiretroviralen Substanzklassen werden die NRTI nicht in ihrer aktiven Wirkform, sondern als Prodrug appliziert und erst intrazellulär zu ihrer Wirkform, den Triphosphaten, aktiviert.
Obwohl es bisher keine Empfehlung für die Nutzung extrazellulärer Methoden zum TDM der NRTI gibt, dieses Verfahren aber für Interaktionsstudien zwischen NRTI und anderen Arzneistoffen benötigt wird, war das erste Ziel dieser Arbeit die Entwicklung einer Methode zur Bestimmung von NRTI Serumkonzentrationen. Im Rahmen von zwei Interaktionsstudien wurde die An-wendbarkeit der neuen Methode zur extrazellulären Messung der NRTI überprüft.
Das zweite Ziel dieser Arbeit war, eine Methode zur intrazellulären Messung der NRTI-Triphosphate zu entwickeln, die eine Bestimmung der Konzentrationen der NRTI-Triphosphate an ihrem peripheren Wirkort, den Lymphozyten, ermöglicht. Diese Konzentrationen entscheiden darüber, wie effektiv die reverse Transkription im Rahmen der HIV-Replikation inhibiert wird. Die neu entwickelte Methode zur intrazellulären Messung der NRTI-Triphosphate wurde anhand von Probenmaterial von HIV-infizierten Patienten auf ihre Anwend-barkeit untersucht.
1.1 Die HIV-Therapie Ziele einer antiretroviralen Therapie sind die Steigerung der Lebenser- wartung und -qualität, die Vermeidung HIV-assoziierter Erkrankungen, die Verlangsamung der Krankheitsprogression und die Verringerung der Infektiosität des HIV-infizierten Patienten.
Zur Therapie der HIV-Infektion sind Arzneimittel aus vier verschiedenen Substanzklassen zugelassen, die die Prozesse der Fusion, der reversen Transkription und der Reifung des HI-Virus inhibieren:
dies sind die Nukleosidalen Reverse Transkriptase Inhibitoren (NRTI), die Nicht Nukleosidalen Reverse Transkriptase Inhibitoren (NNRTI), die Protease Inhibitoren (PI) und die Fusions Inhibitoren (FI) (s. Tab. 1).
Heute werden ausschließlich Kombinationen mehrerer Wirkstoffe aus ver-schiedenen Substanzklassen eingesetzt, um eine Reduktion der Viruslast, eine rasche Erholung des Immunsystems und verzögerte Entwicklung resistenter HI-Viren zu erreichen.
Substanzklasse INN Handelsname Tab. 1.1 HIV-Wirkstoffe – Übersicht
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1.2 Rationale für das Therapeutische Drug Monitoring in der HIV-Therapie
Mehrere Faktoren erschweren die optimale Gestaltung der HIV-Therapie und erfordern unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlaufskontrolle mit Messung der Wirkstoffkonzentrationen:
• unterschiedliche Wirkspiegel der antiretroviralen Medikamente können
sowohl bei gleicher Dosierung und vergleichbaren Patienten (inter-individuelle Variabilität) vorliegen (Barry et al. 1998, Stocker et al. 2003) als auch innerhalb desselben Individuums (intra-individuelle Variabilität) trotz gleicher Einnahmebedingungen. Die gemessenen Konzentrationen können sich dabei sowohl inter- als auch intra-individuell bis zu hundert-fach unterscheiden (Back et al. 2002). Die intra-individuelle Variabilität ist allerdings deutlich geringer als die inter-individuelle Variabilität.
• Interaktionspotentiale entstehen einerseits aufgrund der Vielzahl der
möglichen Kombinationen von antiretroviralen Arzneimitteln und andererseits durch pharmakokinetische Interaktionen mit anderen gleich-zeitig eingenommenen Arzneimitteln. Zum Beispiel wird die Konzen-tration bestimmter PI durch die gleichzeitige Einnahme von Ketoconazol erhöht, während die Einnahme von Rifampicin einen deutlichen Abfall der PI Konzentrationen verursachen kann (Grub et al. 2001).
• Resistenzentwicklungen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen
limitieren den Einsatz bestimmter antiretroviraler Medikamente oder Sub-stanzklassen, so dass Modifikationen der individuellen HIV-Therapie erforderlich werden können.
Zur Kontrolle des Therapieverlaufs ist daher die individuelle Bestimmung von Medikamentenspiegeln mit Hilfe des Therapeutischen Drug Monitorings (TDM) sinnvoll. Damit wird einerseits geprüft, ob zu jeder Zeit im Dosisintervall ausreichende Medikamentenkonzentrationen (Cmin) am Wirkort vorhanden sind und andererseits, ob unerwünschte Nebenwirkungen sowie toxische Effekte durch zu hohe Konzentrationen (Cmax) des Wirkstoffs bedingt sind. Die Verlaufskontrolle und die eventuell daraus resultierende Veränderung einer Therapie tragen zur Therapieoptimierung und Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen bei. Es gibt Hinweise darauf, dass Nebenwirkungen durch eine Vermeidung von zu hohen antiretroviralen Wirkstoffkonzentrationen (Cmax) verhindert bzw. gemindert werden können (Simmons et al. 2004). Durch ein TDM, das für die NNRTI Efavirenz und Nevirapin durchgeführt wurde, konnten zu hohe Plasmaspiegel (Cmax) und dadurch bedingte Toxizitäten erkannt und durch eine nachfolgende Dosismodifikation vermieden werden (Marzolini et al. 2001, Havlir et al. 1995).
Sowohl in den deutschen als auch in den US-amerikanischen Leitlinien zur Therapie der HIV-Infektion wird das Therapeutische Drug Monitoring (TDM)
von Protease Inhibitoren und Nicht Nukleosidalen Reverse Transkriptase Inhibitoren für bestimmte Patientengruppen und klinische Fragestellungen empfohlen (DAIG 2004, DHHS 2005): dazu gehören Patienten mit eingeschränkter Nieren- und/oder Leberfunktion, bekannten Resorptions-störungen sowie Schwangere, Kinder und Jugendliche, des weiteren die Anwendung von Begleitmedikationen mit bekanntem Interaktions-potential, das Auftreten toxischer Nebenwirkungen, der Einsatz nicht etablierter Dosierungs-schemata und das virologische Nicht-Ansprechen auf die Therapie (Mirochnik et al. 1998, Hayashi et al. 2000).
Bei therapie-naiven HIV-infizierten Patienten empfiehlt sich ein TDM nach erstmaliger Einstellung auf ein antiretrovirales Regime (Seminari et al. 1999, Vanhove et al. 1997) insbesondere für die nicht mit Ritonavir geboosteten Protease Inhibitoren, da diese Regime häufig Plasmakonzentrationen unterhalb der empfohlenen Werte aufweisen.
Ein weiteres Anwendungsgebiet für die Messung von antiretroviralen Wirkstoff-konzentrationen in Körperkompartimenten sind pharmakokinetische Studien, die Erkenntnisse über Resorption, Verteilung, Metabolismus und Elimination der Wirkstoffe liefern. Interaktionsstudien über Wechselwirkungen zwischen neu zugelassenen und bereits etablierten HIV-Wirkstoffen stellen ein aktuelles Thema in der HIV-Forschung dar. In der Arbeitsgruppe des HIV-Labors Berlin am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum werden alle zugelassenen Protease Inhibitoren, Nicht Nukleosidalen Reverse Transkriptase Inhibitoren und der Fusionsinhibitor Enfuvirtid mit Hilfe von Hochdruckflüssigkeits-chromatographie (HPLC) und Tandem-Massenspektrometrie (MS-MS) zum TDM oder für klinische Interaktionsstudien gemessen (Stocker et al. 2004, Kurowski et al. 2004, Boffito et al. 2004).
Wirkmechanismus der Nukleosidalen Reverse Transkriptase Inhibitoren (NRTI)
Die Untersuchung der extra- und intrazellulären Pharmakokinetik der NRTI ist der Hintergrund für die im Rahmen dieser Arbeit zu entwickelnden Bestimmungsmethoden. Daher werden in den folgenden Abschnitten zunächst Wirkungsmechanismus und Pharmakokinetik (extra- und intrazellulärer Metabo-lismus) der einzelnen NRTI dargestellt. Anhang VI enthält Auflistungen der allgemeinen physikalisch-chemischen und pharmakologischen Kenndaten der NRTI.
Das Wirkprinzip der NRTI ist die Hemmung der reversen Transkriptase, eines Enzyms, das an der Replikation des HI-Virus beteiligt ist. Die NRTI werden nicht in ihrer aktiven Form, sondern als Prodrug verabreicht.
Erst intrazellulär erfolgt durch mehrfache Phosphorylierung die Aktivierung zu NRTI-Triphosphaten, die als eigentliche Wirkform die Substrate der reversen
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Transkriptase sind. Zwei unterschiedliche, aber synergistische Wirk-mechanismen führen zur Hemmung der reversen Transkriptase. Welcher dieser Mechanismen der Hauptwirkmechanismus ist, scheint bei den einzelnen Substanzen unterschiedlich zu sein und ist nicht abschließend geklärt.
Der erste Wirkmechanismus besteht in einer Inhibition der enzymatischen Aktivität der Reversen Transkriptase. Die NRTI-Triphosphate konkurrieren mit endogen gebildeten Deoxyribonukleotiden um die Substratbindungsstelle und setzen nach ihrer Bindung direkt die Funktionsfähigkeit des Enzyms herab.
Der zweite Wirkmechanismus besteht in der vorzeitigen Beendigung der Transkription und der daraus resultierenden Produktion von inkompletten DNA-Strängen. Dieser Wirkmechanismus beruht auf der chemischen Struktur der NRTI-Triphosphate, die in ihrem Zuckergerüst zwar eine 5´-OH-Gruppe haben, über die sie an die wachsende Kette angefügt werden können. Im Gegensatz zu den endogenen Nukleotiden fehlt den NRTI aber eine 3´-OH-Gruppe, an die das Nukleotid angefügt wird, was zu einem Kettenabbruch führt.
Pharmakokinetik der Nukleosidalen Reverse Transkriptase Inhibitoren (NRTI)
Für jedes der vier endogenen Deoxyribonukleoside stehen Nukleosidanaloga für die HIV-Therapie zur Verfügung. Im Folgenden wird die Pharmakokinetik (Resorption, Verteilung, Metabolisierung, Elimination) der NRTI beschrieben, und der Anabolisierungsweg der NRTI zum Triphosphat am Beispiel des Zidovudin dargestellt. Die physikalisch chemischen und pharmakologischen Kenndaten sind nur für die Nukleoside beschrieben worden und in tabellarischer Form in Anhang VI aufgeführt (siehe Anhang VI).
1.4.1 Thymidinanaloga Abbildung 1.1: Strukturformeln der Thymidinanaloga Quelle: Guido Kruse: Therapeutisches Drug Monitoring von Nukleosidalen Reverse Transkriptase Inhibitor , en Kölner Wissenschaftsverlag, Köln, 2006.
2006 Kölner Wissenschaftsverlag und Guido Kruse
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