Vorgehen zur gesundheitsökonomischen evaluation neuer wirkstoffe am beispiel von rimonabant

Ein innovativer Ansatz zur Bestimmung der Kosten-Effektivität und der Budgetauswirkung neuer Wirkstoffe am Beispiel
von Rimonabant

Aidelsburger P1, Fuchs S1, Moock J2, Hessel F3, Mangiapane S4, Gothe H4, Kohlmann T2, Wasem J3
1CAREM GmbH, Deutschland
2Institut für Community Medicine, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, Deutschland
3Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Deutschland
4IGES-Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH, Deutschland
p.aidelsburger@carem.de

Einleitung
Mit der Zulassung eines neuen pharmakologischen Wirkstoffes werden für Entscheidungsträger und hier insbesondere für Kostenträger
die folgenden ökonomischen Fragen relevant: (1) Ist der neue pharmakologische Wirkstoff einem etablierten therapeutischen Verfahren hinsichtlich
der Kosten-Effektivität überlegen? (2) Welche absoluten Kosten und Effekte bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind mit der Zulassung für die
Kostenträger zu erwarten? Die Beantwortung dieser Fragen kann im Rahmen einer gesundheitsökonomischen Evaluation unter Zuhilfenahme einer
entscheidungsanalytischen Modellierung (Markov-Modell) und insbesondere eines Health Policy Models erfolgen. Hierzu sind Daten zur Prävalenz
der Erkrankung in der Bevölkerung, zu deren Kosten und zur Effektivität medizinischer Maßnahmen notwendig. Gesundheitsökonomen stehen
dabei häufig vor dem Problem, dass diese Daten nicht oder nicht mit ausreichender Validität zur Verfügung stehen. Bei der Beurteilung der Kosten-
Effektivität von Rimonabant, einem selektiven Endocannabinoid-Rezeptorantagonisten zur Behandlung von kardiometabolischen Risikofaktoren,
konnten aus randomisierten klinischen Studien (RCT) [1-3] Daten zur medizinischen Effektivität entnommen werden, allerdings keine Daten zu
Kosten und zur Prävalenz von kardiometabolischen Risikofaktoren in der deutschen Bevölkerung. Zudem sollte bei der gesundheitsökonomischen
Evaluation der patientenrelevante Effekt der Lebensqualität berücksichtigt werden. Daten zur Lebensqualität wurden im Rahmen der RCTs [1-3] vor
und nach Therapie erhoben, allerdings keine Daten zur Lebensqualität bei verschiedenen Folgeerkrankungen von kardiometabolischen
Risikofaktoren. Am Beispiel von Rimonabant soll dargestellt werden, wie im Rahmen eines interdisziplinären Gesamtprojektes ein Health Policy
Model entwickelt und fehlende Daten koordiniert erhoben wurden, so dass bereits mit Zulassung des neuen Wirkstoffes Rimonabant Beurteilungen
sowohl zur Kosten-Effektivität als auch zu den absoluten Kosten und Effekten für die Gesamtbevölkerung gemacht werden können.
Methoden und Ergebnisse Zentraler Projektteil ist die gesundheitsökonomische Evaluation des Wirkstoffes Rimonabant bei einer Dosierung von
20 mg/Tag zusätzlich zu einer Kalorienreduktion um 600 kcal bei Patienten mit verschiedenen kardiometabolischen Risikokonstellationen;
entsprechend der Zulassungsstudien für Rimonabant (RIO-Studien). Zu den kardiometabolischen Risikofaktoren zählen alle Faktoren, die nach
NCEP/ATP III [4] bei der Definition des metabolischen Syndroms genannt werden (erhöhter Bauchumfang, Hypertonie, Hypertriglyceridämie,
niedrige HDL-Werte und erhöhte Nüchternglukosewerte). Die Kosten-Effektivität wird auf individueller Ebene gegen eine Diät mit
Kalorienreduktion um 600 kcal verglichen. Zur Abschätzung der langfristigen Effekte von Rimonabant wurde ein Markov-Modell entwickelt, das
neben Diabetes und diabetesbedingten mikro- und makrovaskulären Komplikationen auch kardiovaskuläre Komplikationen bei Nicht-Diabetikern
berücksichtigt. Um von einer individuellen Ebene, also der Kosten-Effektivität einer Therapie mit Rimonabant bezogen auf einzelne Individuen, auf
absolute Kosten und Effekte in der Gesamtbevölkerung (Health Policy Model) schließen zu können, muss sowohl ein Bezug zur Prävalenz einzelner
Risikofaktoren als auch der Kombination der Risikofaktoren im Sinne des metabolischen Syndroms hergestellt werden. Im Rahmen des
Gesamtprojektes wurde aus diesem Grund im Oktober 2005 eine epidemiologische Querschnittstudie in 1.511 teilnehmenden Allgemeinarztpraxen
mit dem Ziel der Prävalenzbestimmung der genannten Risikofaktoren durchgeführt. Im Rahmen dieser Querschnittstudie wurden von 35.869
Patienten u. a. demographische Daten, Körpergewicht, Körpergröße, Bauchumfang, Blutdruck und Laborparameter bestimmt. Dieser Datenpool
erlaubt die Ableitung von Prävalenzdaten sowohl für die verschiedenen Risikofaktoren allein als auch in ihrer Kombination. In zwei weiteren
kleineren Teilprojekten wurden jährliche direkte medizinische Kosten für verschiedene Gesundheitszustände des Markov Modells erhoben: (1)
Kostenerhebung entsprechend den Empfehlungen der AG Reha Ökonomie [5] (2) Verwendung eines Krankenkassendatensatzes zur Ermittlung der
Inanspruchnahme- und Kostenmuster bei Versicherten, die den definierten Gesundheitszuständen des Markov-Modells zugeordnet werden konnten.
Parallel zur Kostenerhebung wurde zur Bestimmung der Lebensqualität in verschiedenen Gesundheitszuständen eine Primärerhebung durchgeführt,
als Erhebungsinstrumente wurden der EQ-5D und der SF-36 eingesetzt. Das Gesamtprojekt wurde von einem Beirat in regelmäßigen Sitzungen
begleitet, wissenschaftliche Experten aus den Bereichen Entscheidungsanalyse, Kardiologie, Diabetologie, Sozialwissenschaften, Epidemiologie,
Biometrie und Arzneimittelforschung waren in das Projekt eingebunden. Die Daten aus den verschiedenen Teilprojekten wurden abschließend im
Markov Modell und auf gesellschaftlicher Ebene im Health Policy Model zusammengeführt.
Schlußfolgerung Das vorgestellte Projekt zeigt, dass bereits vor Zulassung eines neuen pharmakologischen Wirkstoffes Ergebnisse zur Kosten-
Effektivität und zur Budgetwirksamkeit aus einer Kostenträgerperspektive vorliegen können. Fehlende Daten für eine gesundheitsökonomische
Evaluation können zeitnah mit hoher Datenqualität generiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, war eine interdisziplinäre Verzahnung nötig, die
besondere Anforderungen an die logistische Abwicklung stellte und sorgfältiger Abstimmung bedurfte.

Literatur

[1]
Despres JP, Golay A, Sjöström L, et al. Effects of rimonabant on metabolic risk factors in overweight patients with dyslipidemia. N Engl J Med 2005;353(20):2121-34. Pi-Sunyer FX, Aronne LJ, Heshmati HM, Devin J, Rosenstock J, et al. Effect of rimonabant, a cannabinoid-1 receptor blocker, on weight and cardiometabolic risk factors in overweight or obese patients: RIO-North America: a randomized controlled trial. JAMA 2006;295(7):761-75. Van Gaal LF, Rissanen AM, Scheen AJ, Ziegler O, Rössner S, et al. Effects of the cannabinoid-1 receptor blocker rimonabant on weight reduction and cardiovascular risk factors in overweight patients: 1-year experience from the RIO-Europe study. Lancet 2005;365(9468): 1389-97. NCEP ATP III – Final Report, Circulation 2002, 106:3143-420 AG Reha-Ökonomie. Gesundheitsökonomische Evaluation in der Rehabilitation. Förderschwerpunkt "Rehabilitationswissenschaften" - Empfehlungen der Arbeitsgruppen "Generische Methoden", "Routinedaten" und "Reha-Ökonomie". DRV-Schriften Band 16 1999;103-246.

Source: http://www.gmds2006.de/Abstracts/411.pdf

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